Aktien zwischen Geldpolitik und Wirtschaftsdaten
Kapitalmarktkommentar von Ingrid Szeiler, CIO der Raiffeisen KAG (= Raiffeisen Kapitalanlage-Gesellschaft m.b.H.)
Nach der jüngsten Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) ist klar, dass es wieder Lockerungsschritte in der Geldpolitik geben wird. Die letzten Daten geben der Notenbank recht, oder zumindest eine Rechtfertigung. Die Inflation ist weit vom Ziel der Notenbanken entfernt und Teile der Wirtschaft (siehe Produktionssektor) schwächen sich immer stärker ab. Die Befürworter meinen, die Notenbank habe unbegrenzte Mittel und würde ihr Ziel früher oder später erreichen.
Die Gegner monieren, dass die bisherigen Maßnahmen nichts gebracht hätten, außer eine Perversion des Anleihenmarktes. Die Aktienmärkte sitzen zwischen den Stühlen. Die Liquiditätsschwemme richtet sich zwar (noch) nicht direkt auf den Aktienmarkt. Aufgrund sinkender Zinsen und Renditen eröffnet sich für den Aktienmarkt jedoch der Spielraum für höhere Bewertungen. Darüber hinaus ist der Zusammenhang zwischen Liquidität und Volatilität negativ: je mehr Liquidität, desto geringer die Volatilität. Geringeres Risiko bedeutet wiederum höhere Bewertungen. So weit so gut. Trotzdem handeln viele Aktienmärkte im Nirgendwo. Europa, Japan und die Emerging Markets sind trotz aller Bemühungen immer noch unter den Niveaus von Anfang 2018. Der US-Markt überstrahlt alles mit den großen Technologie-Werten, die den Markt auf Höchststände treiben.
US-Industriewerte haben übrigens auch seit anderthalb Jahren keinen neuen Höchststand mehr gesehen. Weite Teile des globalen Aktienmarktes leiden unter der Abschwächung der Wirtschaft und der Unternehmensgewinne. Momentan sind die Faktoren „Liquidität“ und „Fundamentaldaten“ im Gleichgewicht, eine neutrale Haltung daher weiterhin gerechtfertigt. Wie wird sich das auflösen? Entweder die Wirtschaftsdaten erholen sich (unterstützt etwa durch Fortschritte im Handelskonflikt) oder der Produktionssektor zieht den Dienstleistungssektor mit nach unten in die Rezession. Mit mehr Evidenz in die eine oder andere Richtung ist eine aktivere Positionierung wieder möglich.
Draghis Warnungen gehen ins Leere
Mario Draghis Kassandrarufe hinsichtlich des schwachen Wirtschaftsausblicks in der Euro- Zone und der Notwendigkeit fiskalpolitischer Unterstützung bleiben ungehört. Der deutsche Finanzminister Scholz meinte kürzlich, er habe keine Pläne, die staatliche Geldbörse zu zücken und es wäre weder notwendig noch weise, sich so zu verhalten, als befände man sich in einer Krise. Inflationärer Stimulus: Fehlanzeige! In Erwartung sinkender Spreads könnte es bei Emerging Markets-Staatsanleihen (Hartwährungen) bessere Möglichkeiten als bei europäischen und globalen Staatsanleihen geben. Zudem ist eine steilere US-Zinskurve bei Staatsanleihen mit langen Laufzeiten zu erwarten.
Im Juli gab es bei schwächeren Wirtschaftsdaten eine abermalige Welle von Gewinnrevisionen bei Unternehmen und höher erwartete EUR High Yield Ausfallsraten (Moody’s schätzte diese per 6/20 bei 3,1 statt zuletzt bei 1,1 %). EUR High Yield Creditspreads (insbesondere B und CCC Bonds) stiegen in diesem Umfeld trotz einer erwarteten geldpolitischen Lockerung der EZB. EUR Investment Grade Creditspreads sanken hingegen.
Die Risikoprämien von Schwellenländer-Hartwährungs-Staatsanleihen notieren mittlerweile rund 100 BP enger als noch zu Jahresbeginn 2019, obwohl sich die Emerging Markets PMI Indizes (Einkaufsmanagerindizes) im Sinkflug befinden und eine Wachstumsschwäche andeuten. Die globalen Handelsdaten haben sich ebenfalls nicht erholt. Die Treiber für Schwellenländer-Assets sind kurzfristig nicht die Fundamentaldaten, sondern die geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen der globalen Notenbanken.
Die entwickelten Aktienmärkte performten in den letzten Wochen seitwärts, wobei weiterhin weniger Fundamentaldaten im Mittelpunkt stehen, als vielmehr erneut politische Themen (Handelspolitik, Geldpolitik etc.). Als wichtigster Unterstützungsfaktor erweisen sich einmal mehr die internationalen Notenbanken, während der Blick auf die Gewinndaten unverändert ernüchternd ausfällt.
Schwellenländer fundamental attraktiv bewertet
Die leichte Erholung bei der Gewinnentwicklung von Emerging-Markets-Aktien setzt sich fort. Insbesondere bei Aktien aus dem asiatischen Raum ist das bemerkenswert, da hier der Einfluss des Handelskonflikts und der damit einhergehende Rückgang des Welthandels den stärksten Niederschlag finden sollte. Dennoch war die Kursentwicklung eher mau, insbesondere im Vergleich zu den entwickelten Aktienmärkten. Fundamental betrachtet, bleiben Emerging-Markets-Aktien attraktiv bewertet.
Die internationalen Rohstoffmärkte präsentierten sich in den letzten Wochen wieder stärker. Vor allem Edelmetalle konnten von der Aussicht auf erneut expansivere Geldpolitik profitieren. Dies zeigt sich auch an den anhaltenden Zuflüssen in börsennotierte Produkte auf Gold. Generell sind viele Segmente im Rohstoffbereich weiterhin von einer angespannteren Angebotssituation gekennzeichnet. Dies spiegelt sich auch in einer (für Investoren) positiveren Kurvenstruktur wider.
31.08.2019, Kapitalmarktkommentar von Ingrid Szeiler, CIO der Raiffeisen KAG (= Raiffeisen Kapitalanlage-Gesellschaft m.b.H.)