Verena Fuchsberger-Staufer holt ersten Hedy-Lamarr-Preis für HCI-Arbeit.

Hedwig Eva Maria Kiesler wurde wenige Monate nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs geboren, am 9.11.1914. Mutter Gertrud Lichtwitz kam aus Budapest und war ausgebildete Konzertpianistin, der aus Lemberg gebürtige Vater Emil Kiesler jobbte als Bankdirektor des Creditanstalt-Bankvereins.

Mit noch nicht einmal 16 war Kiesler in ihrem ersten Film „Geld auf der Straße“ zu sehen. Der tschechoslowakisch-österreichische Film „Symphonie der Liebe“ (besser bekannt als „Ekstase“) 1933 wurde zum Skandal. Eine zehnminütige Nacktszene – ein Bad in einem See und der anschließende Gang nackt durch einen Wald – sorgte ebenso für Aufsehen wie eine Liebesszene, in der „nur“ ihr von einem Orgasmus erregtes Gesicht zu sehen war.

Filmstar in Hollywood
Im August 1933 heiratete sie den Metall- und Rüstungsindustriellen Fritz Mandl. Der eifersüchtige Ehemann schränkte ihren Freiheitsgrad massiv ein, untersagte ihr die Schauspielerei und investierte viel Geld, um möglichst viele Kopien von „Ekstase“ zu erwerben und somit vom Markt zu holen. 1937 trennte sie sich fluchtartig von Mandl und reiste über Paris nach London, wo sie vom Hollywoodproduzenten Louis B. Mayer unter Vertrag genommen wurde. Mit ihm reiste Kiesler 1938 in die USA und begründete eine spektakuläre Hollywood-Karriere unter jenem Namen, den Mayer, bezugnehmend auf den Stummfilmstar Barbara La Marr, für sie ausgewählt hatte:

Ausgerechnet in „Casablanca“ durfte sie sich nicht zeigen, sie wirkte aber in mehr als zwei Dutzend Filmen wie „Tortilla Flat“ (1942), „Samson and Delilah“ (1949) oder „The Story of Mankind“ (1957) an der Seite von u.a. Spencer Tracy, Clark Gable, Judy Garland oder den Marx-Brothers mit.

Hedy Lamarr

„Nebenbei“ bewies sie herausragend innovatives technisches Talent. Als Lamarr und der Komponist George Antheil für dessen Ballet „Mécanique“ 16 Pianolas untereinander und mit einem Film zu synchronisieren hatten, gelang dies über gleichzeitig ablaufende Klavierrollen (bzw. Lochstreifen). Dank identischer Lochstreifen in Sender und Empfänger waren gleichzeitige Frequenzwechsel möglich. Daraus wurde das Frequenzsprungverfahren, eine Funk-Fernsteuerung für Torpedos, bei der das Steuerungssignal über mehrere Frequenzen verteilt wird, wodurch es nur schwer vom Feind gestört werden konnte. Lamarr wollte mit dem Verfahren dem US-Militär helfen, die Nazis zu besiegen.

Im Juni 1941 wurde das Patent für das „Secret Communication System“ angemeldet und im August 1942 mit einer Patentnummer bewilligt. Das US-Militär hielt die revolutionäre Erfindung jedoch unter Verschluss, das Verfahren wurde erstmals während der Kuba-Krise in den 1960er-Jahren verwendet.

Ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus …
Erst zu Beginn der 1980er-Jahre wurde die Technologie für die zivile Nutzung freigegeben und bildete die technische Grundlage für die komplette moderne Mobilfunk-, Bluetooth- und WLAN-Technologie. Und erst mit der Realisierung auf digitaler Basis erkannte man die ungeheure Bedeutung von Lamarrs Beitrag. Gedankt wurde ihr dafür überhaupt erst in den späten 1990er-Jahren, als erste Fachmedien die Verbindung herstellten. Lamarrs knapper Kommentar: „Das wurde auch Zeit.“ Auf die Feststellung, ihr Patent sei der Zeit um Jahre (Anm.: eher Jahrzehnte) voraus gewesen, erklärte sie: „Das bin ich immer.“

Hedy Lamarr starb am 19.1.2000 in Floria. Ihr zu Ehren initiierte ein Mann im Umfeld des Wiener Rathauses – der seinen Namen nicht genannt wissen möchte – im ersten Halbjahr 2018 sehr kurzfristig den Hedy-Lamarr-Preis für innovative Frauen in der IT. „Es gab ein Window of Opportunity“, plaudert er aus der Schule, und: „Sogar die Finanzierung mit 10.000 Euro konnten wir relativ problemlos realisieren.“

Da die Stadt Wien jedoch nicht über die Ressourcen verfügte, diese Auszeichnung für außergewöhnliche Österreicherinnen, welche „die digitale Welt von morgen prägend gestalten“, bundesweit zu realisieren, griff man auf das Know-how und die Expertise des Wissenschaftsfonds FWF zurück. Dieser bezog sich für seine erste Wahl von rund 20 wissenschaftlichen Projekten auf aussichtsreiche Kandidatinnen, deren Projekte 2017 bewilligt worden waren und deren Promotion null bis vier Jahre zurücklag. Danach wählten vier FWF-Referenten (Roderick Bloem, Ruth Breu, Silvia Miksch und Bernhard Rinner) drei potenzielle Kandidatinnen aufgrund deren Forschungspotenzials (Innovation und Originalität), deren international hervorragender Publikationstätigkeit und wie sehr sie (inter)national vernetzt und wissenschaftlich anerkannt sind.

Die erste Hauptpreisträgerin

Verena Fuchsberger-Staufer (Foto: privat)


Am 4.10.2018 erhielt die Salzburger Forscherin Verena Fuchsberger-Staufer (35) für „ihre außergewöhnlichen Leistungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie“ in Wien diesen erstmals vergebenen Hedy-Lamarr-Preis. In ihrer Arbeit „re:tangent – Remote Tangible Engagements“ forscht sie über Chancen und Risiken der Verschmelzung von Mensch und Maschine. „Sie arbeitet aktiv an der Entwicklung von neuen Methoden, die vielfältige Anwendungen in verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens finden können“, begründete die Jury ihre Entscheidung.

Fuchsberger-Staufers Spezialgebiet im Spannungsfeld zwischen der Informatik und den Sozialwissenschaften ist die Human-Computer-Interaction (HCI) oder Mensch-Computer-Interaktion, noch genauer die Tangible Interaction. Dabei werden neben Erkenntnissen der Informatik auch solche aus Psychologie (vor allem Medienpsychologie), Arbeitswissenschaft, Kognitionswissenschaft, Ergonomie, Soziologie und Design herangezogen. Der Bereich wurde von Stuart K. Card, Allen Newell und Thomas P. Moran in ihrem Buch „The Psychology of Human-Computer Interaction“ (1983) popularisiert. Die erste bekannte Verwendung von „HCI“ ist aus dem Jahr 1975 bekannt; der Begriff bedeutet, dass im Gegensatz zu anderen Tools mit nur begrenzten Verwendungen (z.B. ein Hammer) ein Computer viele Verwendungen hat und Human-Computer-Interaction als offener Dialog zwischen Benutzer und Computer stattfindet.

Fuchsberger-Staufer versucht herauszufinden, wie Menschen verschiedene physikalische Artefakte empfinden, um daraus entsprechende Strategien für die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine abzuleiten. Dazu arbeitet sie aktiv an der Entwicklung neuer Methoden, die vielfältige Anwendungen in verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens finden können – die potenziellen Anwendungsgebiete reichen von Virtual Reality bis zu Digital Humanities. Durch die zunehmende Digitalisierung erwarten uns in der nahen Zukunft gerade in diesen Bereichen große Herausforderungen, meinte die Jury: „Fuchsberger-Staufer schafft es, den Spagat zwischen Grundlagenforschung und der konkreten potenziellen Anwendung sehr beeindruckend darzulegen. Sie ist in ihrer Community sehr aktiv, sie kommuniziert ihre Forschungsergebnisse aktiv und für den Laien gut verständlich – und sie ist ein Role Model für junge Mädchen!“

Verena Fuchsberger-Staufer konnte den ersten Hedy-Lamarr-Preis nicht persönlich entgegennehmen, weil sie nur Stunden vor der Verleihung Mutter eines Mädchens wurde. „Leider kann ich heute nicht bei Ihnen sein, weil sich eine junge Dame dazwischendrängte“, äußerte sie sich in einer Videobotschaft. Sie habe sich besonders gefreut, weil die Auszeichnung einen konkreten gemeinsamen Nenner mit ihrer Arbeit hat: Sichtbarmachung

Ähnlich turbulent wird jedenfalls auch die weitere Geschichte des Hedy-Lamarr-Preises: Eine solche „Preßgeburt“ wie 2018 soll es nicht mehr werden, gleich nach der Preisvergabe wurde mit der Evaluierung für 2019 begonnen. Die Stadt Wien ist dem FWF naturgemäß sehr dankbar, die Sache soll jedenfalls künftig entspannter ablaufen. Die Möglichkeit, sich dafür aktiv zu bewerben, steht im Raum, ist aber ebenfalls noch nicht fix. Es bleibt also spannend rund um Hedy Lamarrs „Töchter“!

Zitat: „Any girl can be glamorous. All you have to do is stand still and look stupid“, Hedy Lamarr

Die anderen beiden „Töchter von Hedy Lamarr“:

  • Francesca Finotello (33) arbeitet in der Bioinformatik im Gebiet Genome Sequencing bzw. Grundlagen von Lungenkarzinomtherapien – ein sehr aktuelles Thema mit hohem Potenzial für die Zukunft.
  • Andrea Salfinger (33) forscht über „Situation awareness in crisis situations“ und war die „wissenschaftlich jüngste“ Kandidatin. Ebenso wie Verena Fuchsberger-Staufer und Francesca Finotello verfügt sie über eine sehr gute Publikationslage (Dissertation 2016).
  • Der Hedy-Lamarr-Preis zeichnet außergewöhnliche Österreicherinnen aus, die wie die Namensgeberin die digitale Welt von morgen prägen. Damit wird die Bedeutung von Frauen in der IT hervorgehoben, die mit ihrer Geschichte als Vorbilder dienen.

3.1.2019, Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at