Das Zauberwort heißt Open X
Finanz. Dienst. Leistungen – jetzt und schon morgen.
Noch ist Open Banking nicht ausgereift, doch schon tritt die Finanzdienstleistungsbranche in eine neue Phase der Innovation ein – genannt „Open X“. Sie erfordert eine deutlich engere Zusammenarbeit und Spezialisierung auf die jeweilige Stärke der Kooperationspartner. Zu diesem Ergebnis kommen die Studienautoren des World FinTech Report (WFTR) 2019 von Capgemini und Efma (European Financial Management Association). Banken und andere Akteure des Finanzdienstleistungssektors sollten ihre Geschäftsmodelle entsprechend weiterentwickeln.
Der WFTR 2019 identifiziert eine doppelte Herausforderung: FinTechs kämpfen damit, ihr Geschäft zu skalieren und die Banken zögern immer noch bei der Zusammenarbeit mit FinTechs. Infolgedessen wollen die Branchenakteure über Open Banking hinaus gehen. „Open Banking gilt seit langem als Transformationsziel der Finanzdienstleistungsbranche. Der World Fintech Report zeigt auf, dass die Entwicklung aber deutlich über Bankdienstleistungen hinausgeht“, erklärt Wolfgang Barvir, Head of Financial Services bei Capgemini in Österreich. „Die Branche steht am Beginn einer grundlegenden Weiterentwicklung zu integrierten Marktplätzen, die sowohl Finanzdienstleistungen als auch Services jeglicher Art anbieten. Das nennen wir Open X. In Open X werden Daten nahtlos ausgetauscht und die Ökosystempartner arbeiten wesentlich intensiver zusammen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass sowohl Banken als auch FinTechs zukünftig noch deutlich offener sein müssen, als viele bisher dachten.“
Bei Open X handelt es sich um eine effektivere, strukturiertere Form der Zusammenarbeit – ermöglicht durch die Standardisierung der Anwendungsprogrammschnittstellen (Application Program Interface/API) und durch gemeinsame Erkenntnisse aus Kundendaten. Dieser integrierte Marktplatz schafft spezialisierte Rollen für jeden Akteur und ermöglicht einen nahtlosen Austausch von Daten und Dienstleistungen. So kann er die Kundenzufriedenheit steigern und die Produktinnovation beschleunigen.
API bezeichnet eine Reihe von Funktionen und Verfahren, die ein Player für die externe Welt öffnet, um die Entwicklung von Anwendungen zu ermöglichen, die auf die Funktionen oder Daten eines Betriebssystems, einer Anwendung oder eines anderen Dienstes zugreifen.
Das Aufkommen von Open X wird von vier grundlegenden Veränderungen angetrieben:
- einem Umschwenken vom Fokus auf Produkte hin zum Fokus auf das Kundenerlebnis
- der Entwicklung von Daten zur entscheidenden Ressource
- der Abwendung von einer proprietären Betrachtung des Kunden und seiner Daten, hin zur gemeinsamen Nutzung dieser Informationen
- ein häufigeres Eingehen von Innovationspartnerschaften, statt eigene Lösungen zu entwickeln
Open X wird die Finanzdienstleistungsbranche zu gemeinsamen Ökosystemen und geteilten Marktplätzen führen, in denen Produkte und Dienstleistungen neu gebündelt werden. Dafür müssen sowohl Banken als auch FinTechs und andere Partner ihre Strategien für Innovation und Kundenbetreuung neu bewerten.
APIs ermöglichen Dritten, in einer kontrollierten Umgebung auf Banksysteme und -daten zuzugreifen. Sie werden als Katalysatoren zur Entstehung des Open-X-Marktplatzes beitragen. Während Kundendaten in der Branche bereits weitgehend geteilt und genutzt werden, sind standardisierte APIs nicht selbstverständlich. Die Anforderungen und Regularien sind komplex, doch Standardisierung wird helfen, Betrug zu reduzieren, die Kompatibilität zu verbessern, die Markteinführung zu beschleunigen und die Skalierbarkeit zu erleichtern.
Laut WFTR 2019 prüfen die Branchenakteure zwei potenzielle Monetarisierungsmodelle für APIs: Revenue Sharing, was 60 Prozent der Banken und 70 Prozent der FinTechs für machbar halten, und API-Zugangsgebühren, die 46 Prozent der Banken und 55 Prozent der FinTechs unterstützen. Allerdings sieht sich nur etwa ein Drittel der Führungskräfte von Banken derzeit in der Lage, APIs zu monetarisieren.
Bedenken zu Datenschutz, Sicherheit und Zusammenarbeit
Während Banken und FinTechs erklärten, dass sie die Bedeutung der Zusammenarbeit sehen, stehen für sie jedoch Bedenken zur Privatsphäre und Sicherheit im Vordergrund: Auf die Frage, was sie bei Open Banking beunruhigt, antwortete eine große Mehrheit der Banken: Datensicherheit (76 Prozent), Kundendiskretion (76 Prozent) und Kontrollverlust über Kundendaten (63 Prozent). FinTechs waren zwar optimistischer bezüglich Open Banking, aber auch von ihnen äußerten sich 50 Prozent besorgt über Sicherheit und Datenschutz und 38 Prozent über einen Kontrollverlust bei Kundendaten.
Auf die Frage nach Hindernissen für eine effektive Zusammenarbeit wiesen 66 Prozent der Banken und 70 Prozent der FinTechs auf Unterschiede in der Unternehmenskultur und Mentalität hin; 52 Prozent der Banken und 70 Prozent der FinTechs nannten Prozessbarrieren und 54 Prozent der Banken sowie 60 Prozent der FinTechs einen Mangel an langfristigen Visionen und Zielen. Nur 26 Prozent der Führungskräfte von Banken und 43 Prozent der FinTech-Führungskräfte gaben an, den richtigen Open-Banking-Kooperationspartner bereits gefunden zu haben. Diese Antworten deuten darauf hin, dass viele Banken und FinTechs auf Open Banking weiterhin schlecht vorbereitet sind – und damit erst recht auf die gestiegenen Anforderungen an den Datenaustausch und die Integration, die Open X mit sich bringen wird.
Open-X-Teilnehmer müssen strategische, spezialisierte Rollen wählen.
Innerhalb des Open-X-Marktplatzes sollten die Banken zunächst ihr integriertes, traditionelles Modell optimieren und sich dann auf Bereiche spezialisieren, in denen sie besondere Stärken haben.
Der WFTR 2019 identifiziert drei strategische Rollen, die sich voraussichtlich als Teil von Open X entwickeln werden:
• Anbieter werden Produkte und Dienstleistungen entwickeln
• Aggregatoren werden Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt sammeln, sie über eigene Kanäle vertreiben und Kundenbeziehungen pflegen
• Orchestratoren werden als Koordinatoren des Marktes die Interaktion der Partner ermöglichen.
Der Studie zufolge wird ein Ökosystem aus Spezialisten Vorteile gegenüber integrierten Unternehmen haben und beispielsweise eine schnellere Time-to-Market erreichen sowie den individuellen Anforderungen der Kunden besser gerecht werden. (Integrierte Unternehmen sind solche, die alle Funktionen selbstständig erfüllen, ohne mit anderen Unternehmen im Ökosystem zusammenzuarbeiten oder diese zu nutzen. Viele der Banken im derzeitigen Ökosystem sind integrierte Unternehmen, die ihre eigenen Produkte für alle Geschäftsbereiche entwickeln, produzieren und vertreiben.)
„Die Ergebnisse der Studie könnten deutlicher nicht sein: Zusammenarbeit wird die Grundlage für die Zukunft der Finanzdienstleistungen sein“, sagt Vincent Bastid, Generalsekretär von Efma. „Nur durch Zusammenarbeit und die Übernahme neuer, spezialisierter Rollen können sowohl Banken als auch FinTechs Erfolg haben und ihre Kunden optimal bedienen. Es ist klar, dass es nach wie vor viele Hindernisse für die Zusammenarbeit gibt – doch es ist dringend nötig, sie zum gegenseitigen Nutzen zu überwinden.“
1.11.2019, Paul Christian Jezek, paul.jezek@lex-press.at