Schlüsselkompetenz: sich selbst coachen
In unserer von rascher Veränderung geprägten Welt benötigen wir zunehmend die Kompetenz, uns selbst zu coachen, um unser Leben zu meistern. Das war schon vor Corona so. In der modernen Welt geraten wir immer häufiger in Situationen, in denen wir uns entscheiden und die Weichen in unserem Leben neu stellen müssen. Das war schon vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie so, doch sie wirkte diesbezüglich wie ein Brandbeschleuniger.
Deshalb befinden sich aktuell viele Menschen – nicht nur Selbstständige – in einer Situation, in der sich ihr Arbeitsumfeld gravierend geändert hat. Also stehen sie vor der Entscheidung „Love it“, „change it“ oder „leave it“. Oder: Arrangiere ich mich damit, verändere ich es oder suche ich mir etwas Neues?
Ähnlich verhält es sich in unserem privaten Bereich. Auch hier führen solche Einschnitte wie die Covid-19-Pandemie meist dazu, dass wir unser Lebenskonzept überdenken und grundlegende Entscheidungen neu treffen müssen oder möchten:
• Was bedeutet für mich Partnerschaft?
• Wie wichtig ist mir Sicherheit?
• Wie viel Zeit möchte ich für mich, meine Hobbys haben?
Hinzu kommen all die scheinbar kleinen Entscheidungen im Alltag, die jedoch unser Leben prägen – wie zum Beispiel:
• Wie ernähre ich mich?
• Wie stark lasse ich mich vom Smartphone „fremd-bestimmen“?
• Welche Bedeutung messe ich dem Thema Gesundheitsvorsorge bei?
Die Qual der Wahl
In solche Entscheidungssituationen geraten wir auch gehäuft, weil die meisten Menschen in unserer Gesellschaft mehr Wahlmöglichkeiten bezüglich ihrer Lebensführung und -gestaltung als ihre Vorfahren haben. Noch vor ein, zwei Generationen war das menschliche Leben weitgehend vorbestimmt. Heute müssen wir unseren Platz im Leben selbst finden und regelmäßig neu bestimmen – auch weil sich die Rahmenbedingungen im digitalen Zeitalter rasch wandeln. Wie und wo wir einkaufen, wie und womit wir uns amüsieren, wie wir unsere Partner finden, wie wir miteinander kommunizieren, das alles ist heute nicht nur corona-bedingt im Fluss. Also müssen wir regelmäßig neu entscheiden, wie wir leben möchten.
Und hier kommt unsere Kompetenz zum Selbstcoaching ins Spiel. Heute gibt es zwar für fast alle Probleme Coaches und Berater. Doch wenn wir für jede Entscheidung einen Coach aufsuchen würden, säßen wir – überspitzt formuliert – sieben Tage die Woche, 24 Stunden dort auf der Couch. Deshalb benötigt heute jeder Mensch die Kompetenz, selbst Antworten auf solche Fragen zu finden wie:
• Was sind meine Lebensziele?
• Was ist mir wichtig? Und:
• Wie sollte ich mich deshalb entscheiden und handeln?
Nicht jede Krise ist existenziell
Das ist oft anstrengend. Trotzdem sollten wir uns über die Entscheidungsmöglichkeiten, die wir (hoffentlich) haben, freuen. Wir sollten sie als ein Privileg begreifen, denn: Darin liegt auch eine große Freiheit. Damit einher geht aber eine höhere Eigenverantwortung, unser Leben bewusst zu gestalten. Dabei hilft uns die Kompetenz, uns selbst zu coachen – also die Fähigkeit im Dialog mit uns selbst in der jeweils aktuellen Situation eine Antwort auf die Frage zu finden: Was ist für mich richtig? Das beugt auch der Gefahr vor, in eine existenzielle Lebenskrise zu geraten.
In unserem Leben gab es auch schon vor Corona Situationen, in denen wir uns nicht wohl in unserer Haut fühlten – zum Beispiel aufgrund gravierender Veränderungen in unserem Lebensumfeld. Das ist normal! In solchen Situationen, die wir oft als Krise empfinden, ist vor allem unsere Selbstcoaching-Kompetenz gefragt, denn: Diese können wir in der Regel alleine oder mit selbst organisierter Unterstützung meistern.
Anders verhält es sich bei echten existenziellen Lebenskrisen, bei denen wir langfristig oder gefühlt dauerhaft aus dem seelischen Gleichgewicht geraten – zum Beispiel weil unsere bisherigen Problemlösetechniken versagen. Bei ihnen benötigen wir meist professionelle Hilfe durch einen Coach oder Therapeuten.
Wir haben im Leben schon viel gemeistert
Doch wie sollten wir beim Selbstcoaching vorgehen? Hilfreich ist es, sich zunächst bewusst zu machen, wie viel wir im Leben schon gemeistert haben. Das ist stets mehr als gedacht: zum Beispiel die Schule/das Studium, eine gescheiterte Beziehung, die Jobsuche, den Wohnortwechsel und … Das reduziert oft schon das Gefühl der Ohnmacht und verhindert, dass wir in Panik geraten.
Danach sollten wir uns in Ruhe überlegen, in welchem Bereich unseres Lebens wir vorrangig eine Veränderung vornehmen möchten und anschließend konkrete Ziele formulieren – wie: „Ich will mich beruflich verändern“ oder „… einen Lebenspartner finden“ oder „… mehr auf meine Gesundheit achten“. Danach sollten wir analysieren, was nötig ist, um diese Ziele zu erreichen; außerdem, welche Ressourcen uns hierfür zur Verfügung stehen: zum Beispiel eine große Hartnäckigkeit und Ausdauer. Oder viel freie Zeit. Oder ausreichend Geld auf der Bank.
Danach gilt es, einen Aktionsplan zu entwerfen – mit Teilzielen. Bei alledem sollten wir uns jedoch auch bewusst sein, was wir für das Erreichen des großen Ziels aufgeben. Denn hierfür zahlen wir stets einen Preis – und sei es nur, dass wir nicht mehr jeden Abend schlaff auf dem Sofa liegen.
Auch auf das Bauchgefühl vertrauen
Ob die gefundene Lösung die richtige ist, sagt gesunden Menschen meist ihr Bauchgefühl: Die Lösung muss sich zum jetzigen Zeitpunkt richtig anfühlen. Denn nur dann können wir die nötige Energie entfalten, um die damit verbundenen Ziele zu erreichen. Und wenn sich die Lösung einige Monate oder ein Jahr später falsch anfühlt? Dann müssen wir uns eben neu entscheiden – zumal die Möglichkeit besteht, dass sich bis dahin die Rahmenbedingungen mit oder ohne unser Zutun erneut geändert haben.
Also beginnt das Spiel aufs Neue. Ein entscheidender Unterschied ist jedoch: Wir haben zwischenzeitlich unsere Fähigkeit, uns selbst zu coachen, trainiert. Also können wir die neuen Herausforderungen beherzter angehen.
Autorin Sabine Prohaska ist Inhaberin des Beratungsunternehmens seminar consult prohaska in Wien sowie Coach-Ausbilderin. Prohaska ist u.a. Autorin des Buchs „Lösungsorientiertes Selbstcoaching: Ihren Zielen näherkommen – Schritt für Schritt“.
17.1.2021 / Autor: Paul Christian Jezek / p.jezek@lex-press.at