Kosmische Geschichten
Parallelen zwischen den Anforderungen im Weltall und dem Qualitätsmanagement bei irdischen Organisationen präsentierten eine ehemalige Astronauten-Trainerin und Experten der Quality Austria beim 26. qualityaustria Forum am 17.3., das unter dem Motto „Improvisation = die neue Perfektion?“ stand. Mit mehr als 900 Teilnehmern verzeichnete die digitale Fachveranstaltung einen neuen Rekord. „Derzeit sind viele Unternehmen dazu gezwungen, von ihren ursprünglichen Plänen abzuweichen“, erklärte Konrad Scheiber, Geschäftsführer der Quality Austria. „Der Wert der dokumentierten Informationen wird dabei noch immer von vielen unterschätzt.“ Mit Bürokratie habe das nichts zu tun, sondern mit Fehlerkultur, Nachweisbarkeit und kontinuierlichen Verbesserungsprozessen.
Die internationale Raumstation ISS ist eine komplexe Maschine. Kalenderabläufe, Zeitpläne und andere Vorgaben regeln dort ganz genau, was wann und wie gemacht werden muss. Bei der Auswahl der angehenden Astronauten anhand von kognitiven Persönlichkeitstests hält man dennoch bewusst nicht nach Perfektion Ausschau. „Den Kandidaten werden bei den Aufnahmetests mehr Aufgaben gegeben, als sie in der vorgegebenen Zeit bewältigen können“, schilderte die ehemalige Astronautentrainerin und Physikerin Laura Winterling. „Durch den Druck passieren zwangsläufig Fehler und wir beobachten, ob sie ihren alten Fehlern nachhängen oder ob sie in der Lage sind, sich sofort wieder neuen Aufgaben zu widmen.“ Im Weltall ist das überlebensnotwendig: „Das Wort Perfektion klingt in der Theorie zwar gut, aber wenn nur noch das Eine zählt und links und rechts nichts mehr gilt, wird man total unflexibel und ist nicht mehr kreativ.“
Zertifizierte Betriebe haben ein geringeres Insolvenzrisiko
Auch auf dem Planeten Erde wird den Unternehmen und ihren Mitarbeitern aufgrund der Wirtschaftskrise derzeit einiges abverlangt. Umso ermutigender sind die Worte von qualityaustria CEO Konrad Scheiber, dass man Dinge nicht einfach so hinnehmen müsse. „Wie interne Statistiken seit der Gründung der Quality Austria 2004 zeigen, gab es unter den von uns zertifizierten Unternehmen fast keine Insolvenzen. Zertifizierte Organisationen können sich auch in Krisenzeiten behaupten und Gewinne schreiben, weil sie nicht von situationsgetriebenen Ängsten verfolgt werden.“
Ähnlich wie im Weltall spielt auch bei zertifizierten Unternehmen die Dokumentation eine wichtige Rolle. Zugleich warnt Scheiber davor, Qualitätsmanagement mit Bürokratie zu verwechseln, weil das den Eindruck erwecke, dass Dokumentation etwas Schlechtes sei. „Ein Krankenhaus hat einen völlig anderen Dokumentationsbedarf als ein Frisör. Laut der Norm ISO 9001 muss daher immer risikobasiert und umgebungsbedingt vorgegangen werden.“
Verinnerlichung von Qualität statt reiner Pflichterfüllung
Die Notwendigkeit der Aufzeichnungen begründet sich immer aus mehreren Ebenen:
1) Dokumentation: Aufzeichnungen müssen verfügbar sein, wenn sie gegenüber Dritten belegt werden müssen, zum Beispiel bei Behörden oder vor Gericht.
2) Nachvollziehbarkeit: Im Sinne einer lernenden Organisation muss nachgelesen werden können, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt die Entscheidungen für Abläufe oder Prozesse so und nicht anders getroffen wurden.
3) Verbesserungspotenzial: Die Dokumentation dient auch der stetigen Verbesserung und Optimierung, wobei dabei nicht die Abarbeitung von Problemen im Zentrum stehen sollte, sondern ein systematischer und kontinuierlicher Verbesserungsprozess.
4) Kaufmännische Indikatoren: Dazu zählt z.B. die Dokumentation für die Buchhaltung oder als Basis für die Kostenrechnung.
Zu den unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten der Dokumentationen kommt für Scheiber noch ein ganz entscheidender Faktor hinzu: „Das Thema Qualität muss von den Mitarbeitern wirklich verinnerlicht werden, denn nur dann können im Krisenfall alle Vorteile der Zertifizierung voll ausgeschöpft werden. Im Gegensatz dazu steht die dokumentierte Anweisungsqualität, wo die Mitarbeiter einfach nur ihre Pflicht erfüllen.“ Um besser durch die Krise navigieren zu können, muss neben der Dokumentation auch sichergestellt werden, dass die systematische Reaktionsfähigkeit und der richtige Umgang mit digitaler Transformation und Nachhaltigkeit gegeben ist.
Top-Austro-Qualität im Weltraum
Am 20.3. startete ein Erdbeobachtungssatellit aus Südkorea an Bord einer russisischen Sojuz-Rakete ins All, der hochauflösende Bilder von der Erde aufnehmen wird. Im Weltraum angekommen, wird seine präzise Position durch einen Navigationsempfänger aus Wien auf einen Meter genau bestimmt. „Je genauer die Positionsbestimmung des Satelliten, desto genauer die Daten, die der Satelliten liefert“, sagt Andreas Buhl, Geschäftsführer von RUAG Space Austria, Österreichs größtem Weltraumunternehmen. „Unsere Navigationsempfänger sind weltweit gefragt. Wir liefern diese nach Europa, USA oder Asien.“ Derzeit befinden sich 22 Navigationsempfänger aus Österreich im Weltall. Sie bestimmen die Positionen unterschiedlicher Satelliten, etwa eines Umweltsatelliten der NASA oder eines Meeresspiegel-Satelliten der europäischen Weltraumorganisation ESA. „Ein Satellitennavigationsempfänger von uns hat den Auftragswert eines Einfamilienhauses“, betont Buhl.
Der Satellit CAS500-1 (Compact Advanced Satellite) der südkoreanischen Raumfahrtagentur KARI (Korea Aerospace Research Institute) wiegt rund 500 Kilogramm und wird im erdnahen Orbit platziert. Südkorea betätigt sich stark in Sachen Weltraumtechnologie: Alleine 2021 investiert das Land eine halbe Milliarde Euro in Weltraumaktivitäten, um seine Kapazitäten zur Herstellung etwa von Satelliten und Raketen zu stärken.
Dabei ist CAS500-1 bezüglich der RUAG-Präsenz absolut kein Einzelfall: Schon am 25.3. starten die nächsten 36 von insgesamt rund 600 kleinen Telekommunikationssatelliten des britisch-indischen Unternehmens OneWeb ins All. Damit steigt die Zahl der im All befindlichen Kleinsatelliten auf 146. Die Satelliten bringen Breitbandinternet in entlegene Regionen. „Vor der Kälte und Hitze im All von ca. minus 150 bis plus 150°C schützt die waschmaschinengroßen Satelliten Technik aus Österreich“, sagt Buhl. Den Hitzeschutz produzierte RUAG Space im niederösterreichischen Werk in Berndorf. Die Isolation besteht aus mehreren Schichten metallbedampfter Kunststofffolien.
Die OneWeb-Satelliten werden vom Weltraumbahnhof Vostochny in Russland ins All starten. Für den Transport der Satelliten von der Produktionsstätte in Florida bis nach Russland wurden Hochtechnologie-Satellitencontainer von RUAG Space Austria verwendet. „Satelliten sind hochsensible Geräte“, erklärt Buhl. „Sie können nur in speziell gedämpften und belüfteten Containern transportiert werden, um sie vor Erschütterungen und Temperaturschäden zu schützen. Für unseren Kunden haben wir hier maßgeschneiderte Lösungen entwickelt.“ Der Auftragswert für Container und Thermalisolation beträgt zusammen rund zehn Millionen Euro. Das OneWeb-Satellitensystem soll weltweit kostengünstigen Internetzugang ermöglichen und in einem ersten Ausbauschritt rund 600 Satelliten umfassen, die im erdnahen Orbit um die Erde kreisen. Ein Satellit wiegt rund 150 Kilogramm.
Hitzeschutz aus Österreich für europäischen Planetenjäger
Und damit immer noch nicht genug: Ein europäisches Weltraumobservatorium soll fremde Planeten finden – und auch dies wird von RUAG-Thermalisolation geschützt. Die Raumfahrtmission PLATO (Planetare Transite und Oszillationen von Sternen) der europäischen Weltraumorganisation ESA wird mit kleinen Teleskopen und 26 Kameras nach Planeten suchen, die fremde Sterne umkreisen. „So wie sich ein Jäger für die Pirsch in den heimischen Wäldern warm genug anzieht, braucht auch ein Planetenjäger entsprechende Kleidung“, lächelt Buhl. „Das schwarze Thermalkleid für die Satellitenplattform kommt aus Österreich und schützt den europäischen Satelliten vor den extremen Temperaturen im All, die im Schnitt zwischen minus 200 und bis zu plus 300 Grad Celsius schwanken.“
Die Isolation besteht aus mehreren Schichten hauchdünner Polyimidefolien. Gebaut wird der Satellit vom deutschen Raumfahrtunternehmen OHB in Bremen. Die Planetenjägermission soll Antworten auf große wissenschaftliche Fragen liefern: Wie funktioniert das Sonnensystem? Wie entstehen Planeten und wie entsteht Leben? Der Raketenstart vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Südamerika, ist für 2026 geplant.
Summa summarum ist RUAG Space Austria mit Sitz in Wien und einem zweiten Werk in Berndorf (NÖ) mit rund 250 Mitarbeitenden das größte österreichische Weltraumtechnikunternehmen. Das Hochtechnologieunternehmen rüstet weltweit Satelliten und Trägerraketen mit Elektronik, Mechanik und Thermalisolation aus und hat eine Exportquote von rund 100 Prozent. Als Spin-off der Weltraumaktivitäten produziert das Unternehmen auch Thermalisolation etwa für den Medizinbereich (Magnetresonanztomographen).
14.4.2021 / Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at