„Gesundheit am Arbeitsplatz darf nicht zur Privatsache werden“, warnt Arbeitspsychologe Gerhard Klicka. (Bild: pixabay.com)

Die Ungewissheit der Pandemie sorgt für eine deutlich gesteigerte psychische Belastung jedes einzelnen. Derzeit sieht es so aus, dass viele Unternehmen der Ansicht sind, dass ihre Fürsorgepflicht im Homeoffice nicht mehr gilt. In vielen Betrieben laufen Pläne, Büroflächen zu reduzieren und betriebliche Gesundheitseinrichtungen zu schließen. Bei Mitarbeitern im Homeoffice wiederum besteht die Gefahr, dass diese sich selbst überlassen zu werden.

IBG GeschŠäftsfüŸhrer Dr. Gerhard Klicka (© IBG)

Gerhard Klicka, Arbeitspsychologe und Geschäftsführer von IBG, erklärt, warum die Arbeit in den eigenen vier Wänden ebenso krank machen kann wie im Büro – und warum im Homeoffice die unternehmerische Fürsorge für Mitarbeiter nicht vor den Firmentoren endet.

Die Diskussion zum Homeoffice mobilisiert die Emotionen. Was ist die Sicht des Arbeitspsychologen?
Wir beobachten die totale Euphorie und bemerken bei anderen entschlossene Ablehnung. Dabei ist Homeoffice keine Arbeitsform, die sich von heute auf morgen entwickelt hätte. Neu bei dem Thema ist der Umfang, mit dem Heimarbeit „dank“ Corona-Lockdowns ins wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eingedrungen ist. Zumindest kennt jetzt jeder jemanden, der im Homeoffice ist. Damit erhalten die Fragen wie Belastung, Arbeitszeiten, Selbstorganisation, persönliche Arbeitsbedingungen eine andere Tragweite und hohe Aufmerksamkeit.

Ist Homeoffice das Arbeitskonzept der Zukunft?
Es wird ein deutlich stärkerer Bestandteil des Arbeitslebens sein, als es bisher war. Ich bin aber skeptisch, ob es der beherrschende Teil sein wird. Viele Jobs können gar nicht im Homeoffice erledigt werden. Und bei vielen Dienstnehmern erlauben es die Rahmenbedingungen nicht, dauerhaft von zu Hause aus zu arbeiten. Für eine Buchhalterin mit Familie in einer Vier-Zimmergenossenschaftswohnung ist es sehr, sehr schwierig, einen Arbeitstag von „Nine to Five“ zu organisieren. Unsere Befragungen zeigen, dass dann Arbeit nachts und unter Druck stattfindet. Diese Arbeitnehmer sind froh, wenn sie wieder ins Büro kommen.

Das steht im Widerspruch zu vielen Befragungen, die eine hohe Zustimmung unter den Arbeitnehmern zum Konzept Homeoffice zeigen. Oder ist dies nur selektive Wahrnehmung?
Ich zweifle die Umfragen nicht an. Ich fordere aber, dass bei den Analysen die Schattenseiten der neuen Arbeitsformen beachtet werden. Wir dürfen jene nicht planieren, die von zu Hause aus nicht arbeiten können, auch wenn sie wollen. Unsere Beobachtungen zeigen eine ernstzunehmende Anzahl an Arbeitnehmern, die im Homeoffice eine zusätzliche Belastung sehen. Und die dürfen wir nicht übersehen.

Ist Homeoffice aus arbeitspsychologischer Sicht eine Gefahr für die Mitarbeiter?
Nein. Es wäre falsch, dies so zu formulieren. Homeoffice ist im Begriff, ein bedeutender Bestandteil unseres Arbeitslebens zu werden. Neue digitale Werkzeuge bringen eine deutliche höhere Flexibilität in unsere Organisation von Arbeit. Aber wir brauchen geregelte Rahmenbedingungen, die mehr als nur das Thema Vergütung ordnen. Arbeit unter normalen Bedingungen bedeutet soziale Kontakte, Abwechslung und – bei gesunder Unternehmenskultur – einen Stimulus für das persönliche Wohlbefinden. Die Beziehungen, die Menschen mit oder durch Arbeit knüpfen, fordern den Einzelnen, aber sie fördern ihn auch. Soziale Kontakte sind grundlegend für die persönliche Entwicklung – und da reden wir nicht nur von frühen Lebensphasen eines Lehrlings oder Praktikanten, sondern auch von Phasen der Reife und des Alters. Es sollte immer Führungsziel der Entscheidungsträger sein, dass Zusammenarbeit das persönliche Potential jedes einzelnen Kollegen entwickelt. Damit wächst das, was wir das „Arbeitsvermögen“ jedes Einzelnen nennen. Mitarbeiter werden in einem funktionierenden Betriebsklima gesünder und produktiver. Unsere Studien unterstreichen ohne Zweifel: Jedes Unternehmen profitiert betriebswirtschaftlich von einer gesunden Belegschaft.

Soziale Kontakte machen gesünder?
Sie sind der Antrieb für die individuelle Weiterentwicklung jedes Einzelnen. Wer seinen Job gerne macht, macht ihn besser und bleibt gesünder. In einer Welt, in der alle Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten, fällt dies natürlich alles weg. Daher empfehlen wir dringend, nicht mehr als zwei Arbeitstage pro Woche für Homeoffice-Tätigkeiten je Mitarbeiter einzuplanen.

Wieso machen fehlende Kontakte zu Arbeitskollegen krank?
Viele Studien zeigen, dass sich bei Einzelkämpfern die persönliche Befindlichkeit verschlechtert und die psychische Belastung steigt. Unter der jetzigen Konstellation von Homeoffice stehen die Mitarbeiter mit ihren Sorgen völlig allein da. Ein Arbeits- oder Dienstverhältnis inkludiert aber zwingend die Obsorge des Arbeitgebers für die Gesundheit seiner Mitarbeiter. Nur: Derzeit sieht es so aus, dass viele Unternehmen der Ansicht sind, dass ihre Fürsorgepflicht im Homeoffice nicht mehr gilt. Wir erleben, dass sich Arbeitgeber fragen, warum sie Maßnahmen des Arbeitsschutzgesetzes wie Begehungen umsetzen sollen, wenn die Büros leer sind.

Dieser Einwand klingt logisch …
Er geht aber ins Leere. Arbeitnehmerschutz hängt nicht von der Lokalisierung des Arbeitsplatzes ab. Arbeit darf auch im Homeoffice nicht krank machen. Da gibt es noch zu wenig Bewusstsein. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die den Arbeitsmedizinern erlauben, auch im Homeoffice mit den Arbeitnehmern in Kontakt zu bleiben. Im digitalen Zeitalter haben wir die Werkzeuge dazu.

Ist Homeoffice gesundheitlich so gefährlich?
Wir dürfen nicht glauben, dass Arbeit in den eigenen vier Wänden gesünder ist als im Büro. Unsere Arbeitsmediziner erzählen, dass sie seit Herbst eine zunehmende Zahl an Klienten im Homeoffice beobachten, die eindeutige Anzeichen eines Burn-out haben. Eng getaktete Videotermine, keine Pausen, dazu bei vielen eine schwellende Ungewissheit über die berufliche Zukunft, eventuell dann noch die fehlenden sozialen Kontakte und Isolation – diese Umstände befeuern eine innere Verfassung, die unter normalen Umständen als Vorstufe zum Burn-out anzusehen ist. Da müssen wir einfach aufpassen.

Wie kann Arbeitnehmerschutz im Homeoffice aussehen?
In einer Pandemie hat der Arbeitnehmerschutz eine besonders wichtige Rolle. Das Problem ist, dass das ASchG für die neuen Gegebenheiten nur alte Verfahren erlaubt. Wir müssen dort beraten und aktiv werden, wo gearbeitet wird und nicht Begehungen in leeren Büros machen. Auch wir flexibilisieren unsere Methoden mit digitalen Tools. Dann passiert Beratung via Skype, Zoom oder Teams.

Wie soll das funktionieren?
Ein Beispiel: Im Fall einer Ergonomieberatung schwenkt der Mitarbeiter mit der Kamera auf seinen Arbeitsplatz und unsere Mediziner geben die notwendigen Tipps. Das kann so simpel sein wie der Rat, den Monitor mit Hilfe eines Buches höher zu positionieren bis hin zum Rat, den Küchensessel gegen einen geeigneten Bürosessel zu tauschen. Ein Homeoffice-Gesetz muss regeln, wer für derartige Anschaffungen zuständig ist. Ein Recht auf Steuerabschreibung für den Arbeitnehmer scheint mir hier zu wenig.

Tipps und Tricks für Ihre Gesundheit

1) Selbstfürsorge!
Gerade in Zeiten, in denen man das Gefühl hat, fremdbestimmt zu sein und an der eigenen Situation nichts ändern zu können, sollte Selbstfürsorge an oberster Stelle stehen. Stellen Sie sich bewusst die Frage: Was tut mir gut? Was mache ich gerne? Widmen Sie sich bewusst Ihren persönlichen Kraftquellen und füllen Sie diese von Zeit zu Zeit auch wieder auf.

2) Fokus auf Positives!
Eine Situation hat meistens positive und negative Aspekte. Schaffen wir es also, in scheinbar ausweglosen Situationen positive Anteile zu finden, können wir uns Handlungsspielraum zurückerobern. Auch wenn sich die Situation selbst dadurch nicht verändert, unsere Einstellung und unser Handeln sind abhängig davon, worauf wir uns konzentrieren. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf die positiven Seiten, die Ressourcen, die „Ist-Seite“, wird uns der Umgang leichter fallen.

3) Akzeptanz und Gelassenheit!
Zu lernen, unsichere und unwägbare Situationen im Leben zu akzeptieren und anzunehmen, hilft uns, besser damit umzugehen, anstatt unsere wertvolle Energie in Verdrängen oder Widerstand zu investieren. Dabei geht es nicht darum, dass man die aktuelle Situation und die dadurch ausgelösten Gefühle toll finden muss. Es geht vielmehr darum, der Tatsache und den Gefühlen bedingt Raum zu geben, weil der Kampf gegen sie diese nur stärker machen würde. Denn was nützt einem der Kampf gegen eine Sache, der dieser Kampf egal ist? Versuchen Sie, unangenehme Gefühle zu registrieren, zu benennen, aber nicht darauf zu reagieren und sie wieder ziehen zu lassen. Und wenn ich es nicht ändern kann, vielleicht kann ich es für mich nutzbar machen? Was hat sich durch die Situation für mich verbessert, hilfreiche Erfahrungen, Möglichkeiten – Zeit nehmen, überlegen und einfach einmal aufschreiben.

4) Sich abgrenzen!
Gerade im Homeoffice ist es umso wichtiger, sich mit den Grenzen zwischen Privatem und Beruflichen zu beschäftigen und diese klar zu setzen. Sei es organisatorisch, indem konkrete Vereinbarungen über Arbeitszeiten und Erreichbarkeiten mit Vorgesetzten und Kollegen getroffen werden oder auch räumlich, indem man sich einen klar abgegrenzten Bereich mit allem Notwendigen für die Arbeit einrichtet. Der Arbeitsplatz sollte darüber hinaus so gestaltet werden, dass er die eigene Produktivität möglichst fördert – denn je wohler wir uns in unserer Umgebung fühlen, umso motivierter sind wir auch.

5) Pausen und Erholung!
Auch wenn die aktuelle Zeit von ungewöhnlichen Herausforderungen geprägt ist, achten Sie darauf, dass Sie sich regelmäßig kurze Pausen und Auszeiten nehmen, um zwischendurch für ein wenig Entspannung zu sorgen. Frischluft schnappen, sich bewegen, bewusste Atemübungen, Abwechslung sowie ausreichend trinken helfen, um gut über den Tag konzentriert bleiben zu können. Nicht vergessen: Bewegung und körperlicher Ausgleich steigern das Wohlbefinden und unterstützen beim Stressabbau!

Hinter den Kulissen
Die IBG GmbH – gegründet 1995 – ist mit mehr als 165 Mitarbeitern, davon 70 Arbeitsmedizinern, Österreichs größte Unternehmensberatung im Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. IBG ist in ganz Österreich vertreten.
Der promovierte Psychologe Gerhard Klicka startete bei IBG 2001, kam ab 2004 in die Geschäftsführung von IBG und ist seit 2006 alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Klicka ist Unternehmensberater und ausgebildeter klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut (VT) und Arbeitspsychologe.

www.ibg.at

22.4.2021 / Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at