Neue Anforderungen für Versicherungsnehmer von Gruppenversicherungsverträgen, die nunmehr – unter Anwendung der vom EuGH aufgestellten Kriterien – als Versicherungsvermittler eingestuft werden können. (Symbolbild: pixabay.com)

In der am 29.9.2022 veröffentlichten Vorabentscheidung des EuGH zur Rechtssache C-633/20 bestätigt der EuGH seine bereits am 24. Februar 2022 zu C-143/20 und C-213/20 geäußerte Ansicht, dass die Eigenschaft als Versicherungsnehmer eines Gruppenversicherungsvertrags die Versicherungsvermittlereigenschaft nicht ausschließt. Der EuGH erweitert dieses für die fondgebundene Lebensversicherung geäußerte Verständnis, nun auch auf andere Versicherungszweige (im gegenständlichen Fall die Kranken- und Unfallversicherung bei Auslandsreisen sowie die Auslands- und Inlands-Rückholkosten-Versicherung). Zusammengefasst entschied der EuGH, dass eine Versicherungsvermittlereigenschaft vorliegt, wenn ein Versicherungsnehmer ein eigenes wirtschaftliches Vermittlungsinteresse verfolgt, indem er Kunden eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihm abgeschlossenen Gruppenversicherungsvertrag anbietet, und bei Beitritt des Kunden zum Gruppenversicherungsvertrag von diesem – als Gegenleistung für die an ihn abgetretenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen – eine Vergütung erhält.

Dieses Urteil hat weitreichende Auswirkungen auf Gruppenversicherungslösungen in Österreich. Bisher wurde nämlich vielfach in der Literatur vertreten, dass Versicherungsnehmer bei Gruppenversicherungen keine Versicherungsvermittlung iSd IDD und der österreichischen Gewerbeordnung betreiben. Dies, weil oftmals allein der Versicherungsnehmer Vertragspartner des Versicherungsunternehmens ist und zwischen Versicherungsunternehmen und versicherten Personen gerade kein Vertrag besteht. Aus diesem Grund – so die nunmehr überholte Argumentation – kann der Versicherungsnehmer nicht Versicherungsvermittler sein, da seine Tätigkeit nicht dazu führt, dass (neue) Vertragsbeziehungen zwischen Kunden und Versicherungsunternehmen zustande kommen. Freilich war und ist die Einstufung aber immer abhängig von der konkreten Gruppenkonstruktion.

Ausgangssachverhalt
Die deutsche TC Medical Air Ambulance Agency GmbH („TC Medical“) bietet Verbrauchern gegen Entgelt den Beitritt zu einer „Mitgliedergemeinschaft“ an. Die Mitgliedschaft berechtigt zur Inanspruchnahme verschiedener Leistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland. Dazu hat die TC Medical als Versicherungsnehmerin einen Gruppenversicherungsvertrag abgeschlossen und zahlt dafür die Versicherungsprämien. TC Medical bietet Kunden an, dem Gruppenversicherungsvertrag beizutreten und Versicherungsansprüche an diese abzutreten. Gegen Zahlung eines Entgelts an TC Medical, sind die Kunden im Gegenzug zur Inanspruchnahme verschiedener Leistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigt, zu denen beispielsweise die Erstattung der Kosten für medizinische Heilbehandlungen und Krankentransporte zählt. Eine Berechtigung zur Versicherungsvermittlung hat die TC Medical aber nicht.

Zur Vorlagefrage
Im Rahmen des angestrengten Vorabentscheidungsverfahrens, wollte der deutsche Bundesgerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die Europäische Vermittlerrichtlinie und die IDD Richtlinie so auszulegen sind, dass unter die Begriffe „Versicherungsvermittler“ und „Versicherungsvertreiber“ im Sinne dieser Bestimmungen eine juristische Person fällt, deren Tätigkeit darin besteht, eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihr bei einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, für die sie von ihren Kunden eine Vergütung erhält und die die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen berechtigt.

Entscheidungsgründe
Zusammengefasst bejahte der EuGH die Versicherungsvermittlereigenschaft der TC Medical als Versicherungsnehmerin des Gruppenversicherungsvertrags und begründete dies wie folgt:

  • Die Einstufung als Versicherungsvermittler bzw Versicherungsvertreiber setzt einerseits die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung bzw des Versicherungsvertriebs voraus sowie andererseits, dass diese gegen Vergütung ausgeübt wird.
  • Zur Tätigkeit „Versicherungsvermittlung“: Die darunterfallenden Tätigkeiten seien weit gefasst und umfassen nicht nur das Anbieten und das Vorschlagen von Versicherungsverträgen, sondern auch andere Vorbereitungsarbeiten zum Abschluss solcher Verträge. Das Anbieten eines freiwilligen Beitritts zum Gruppenversicherungsvertrag sei mit der vergüteten Tätigkeit eines Versicherungsvermittlers/Versicherungsvertreibers, die darauf gerichtet ist, dass Versicherungsnehmer mit einem Versicherer Versicherungsverträge abschließen, die die Deckung bestimmter Risiken gegen Zahlung einer Versicherungsprämie zum Gegenstand haben, vergleichbar und daher ebenfalls umfasst.
  • Versicherungsnehmereigenschaft schadet nicht: Dass die im Ausgangsfall Beklagte selbst Partei des Gruppenversicherungsvertrags ist, dem beizutreten sie ihre Kunden veranlassen möchte, schade nicht. Die Eigenschaft als Versicherungsvermittler und damit Versicherungsvertreiber sei nicht mit der Eigenschaft als Versicherungsnehmer unvereinbar (mit Verweis auf das EuGH-Urteil vom 24. Februar 2022 zu C-143/20 und C-213/20)
  • Zum Tatbestandsmerkmal der Vergütung: Dieses sei als erfüllt anzusehen, wenn der Beitritt eines Kunden zum Gruppenversicherungsvertrag zu einer Zahlung einer Vergütung an die Versicherungsnehmerin (hier: TC Medical) führt. In Anbetracht der weiten Konzeption des Vergütungsbegriffs sei es unerheblich, dass die Zahlung von den beitretenden Mitgliedern als Gegenleistung, für die ihnen von der Versicherungsnehmerin abgetretenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen geleistet werde und nicht vom Versicherer, beispielsweise in Form einer Provision.
  • Gleiches Schutzniveau erforderlich: Mit Verweis auf die Erwägungsgründen 6 und 16 der IDD-RL solle nach Ansicht des EuGH den Verbrauchern trotz der Unterschiede zwischen den Vertriebskanälen das gleiche Schutzniveau zugutekommen.

Auswirkungen der Entscheidung auf Gruppenversicherungslösungen
Für Versicherungsnehmer von Gruppenversicherungsverträgen, die nunmehr – unter Anwendung der vom EuGH aufgestellten Kriterien – als Versicherungsvermittler eingestuft werden können, gilt es zu beachten:

  • Vermittlerlizenz und Eintragung in das GISA (§ 137ff GewO) sind erforderlich, wenn nicht bestimmte Ausnahmen anwendbar sind.
  • Informations- und Offenlegungspflichten müssen gegenüber den dem Gruppenversicherungsvertrag beitretenden Kunden erfüllt werden (vor Beitritt).
  • Weiterbildungsverpflichtungen sind zu erfüllen
    Versicherer dürfen gemäß § 127d VAG nur Dienste eingetragener Versicherungsvermittler oder dazu berechtigter Unternehmen in Anspruch nehmen und müssen daher bei Gruppenversicherungsverträgen die Berechtigung des Versicherungsnehmers, der als Versicherungsvermittler zu handeln, im Einzelfall überprüfen.

13.10.2022, Autor/Autorin: MMag. Dr. Felix Hörlsberger und Mag. Magdalena Nitsche, DORDA Rechtsanwälte GmbH, www.dorda.at