Das europäische Start-Up-Barometer
Großbritannien führt Länderranking vor Deutschland und Frankreich an, Österreich belegt Platz 14
Kapitalgeber haben im vergangenen Jahr Rekordsummen in europäische Start-ups investiert: Der Gesamtwert der Start-up-Finanzierungen stieg im Vergleich zum Vorjahr um 84 Prozent auf 19,2 Milliarden Euro. Die Zahl der Finanzierungsrunden legte um 39 Prozent auf 3.656 zu.
Das sind Ergebnisse des europäischen Start-up-Barometers der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY. Die Studie beruht auf einer Analyse der Investitionen in europäische Start-ups.
„Mehr europäische Unternehmen als je zuvor haben im vergangenen Jahr frisches Kapital erhalten. In den meisten großen, europäischen Märkten sind die Investitionssummen gestiegen und auch die Zahl der Finanzierungsrunden legte fast überall zu“, stellt Thomas Gabriel, Partner und Leiter Start-up bei EY Österreich, fest. „Das zeigt, dass das europäische Start-up-Ökosystem weiter an Stärke gewinnt. Immer mehr europäische Jungunternehmen erhalten frisches Geld und können damit innovative Geschäftsmodelle oder Technologien weiterentwickeln.“
Auf Investorenseite sei das Interesse an vielversprechenden Geschäftsideen und innovativen Technologien nach wie vor enorm groß, betont Gabriel. Obendrein verfügten die Risikokapitalgeber über hohe Summen, so Gabriel: „Die Bereitschaft, auch sehr hohe Summen in Start-ups zu investieren, ist spürbar gestiegen, was auch mit der guten Entwicklung auf dem IPO-Markt und den entsprechend verbesserten Exit-Möglichkeiten zusammenhängen dürfte“. So stieg die Zahl der Finanzierungen mit einem Volumen von 100 Millionen Euro und mehr im Vergleich zum Vorjahr europaweit von sieben auf 23. Davon entfielen elf Transaktionen auf britische, sechs auf deutsche und drei auf Schweizer Jungunternehmen.
Klarer Anstieg in Österreich
Trotz Brexit stiegen die Investitionen in britische Start-ups besonders stark: Die Zahl der Deals belief sich auf 893 und hat sich somit fast verdoppelt. Das Investitionsvolumen stieg sogar noch stärker an – von 2,7 auf 6,4 Milliarden Euro. Die deutschen Jungunternehmen verzeichneten einen Anstieg der Mittel von 2,3 auf 4,3 Milliarden Euro, französische Start-ups erhielten knapp 2,6 Milliarden Euro (Vorjahr: 2,2 Milliarden Euro).
Auch hierzulande erlebte die Start-up-Szene im vergangenen Jahr einen deutlichen Aufschwung: Österreichs Start-ups haben 2017 rund vier Mal so viel Geld durch Finanzierungsrunden eingenommen wie im Vorjahreszeitraum. Der Gesamtwert ist von 34 Millionen Euro auf 138 Millionen Euro gestiegen. Damit belegt Österreich Rang 14 im europäischen Vergleich und liegt ungefähr auf dem Niveau von Belgien (123 Millionen Euro), Norwegen (146 Millionen Euro) und Italien (148 Millionen Euro). Gleichzeitig ist auch die Zahl der Finanzierungsrunden nach oben gegangen: Sie stieg um mehr als das Doppelte von 14 auf 35.
„Die österreichische Start-up-Szene hat sich 2017 sehr lebhaft entwickelt“, so Thomas Gabriel. „Die Investitionssumme hat sich fast vervierfacht, gleichzeitig sind die Finanzierungen in der Breite besser geworden. Immer mehr österreichische Start-ups erhalten immer mehr Kapital. Der Biotech- und Gesundheitsbereich bekommt momentan besonders hohe Kapitalspritzen: Alleine die zwei Finanzierungsrunden für Hookipa und Arsanis brachten in Summe fast 100 Millionen Euro ein“.
London gibt im Städteranking den Ton an
Im europäischen Städteranking liegt London mit 4,9 Milliarden Euro und 547 Finanzierungen weit vorne. Auf dem zweiten und dritten Rang liegen Berlin (3,0 Milliarden Euro) und Paris (2,0 Milliarden Euro). Allerdings wurden in der französischen Hauptstadt mit 364 Transaktionen deutlich mehr Finanzierungsrunden registriert als in Berlin, wo 232 Deals gezählt wurden.
Auf den Rängen vier und fünf folgen – gemessen am Investitionsvolumen – Basel und Stockholm mit 1,0 Milliarden Euro bzw. 595 Millionen Euro. Wien belegt mit einem Investitionsvolumen von 119 Millionen Euro, die in 23 Finanzierungsrunden lukriert wurden, Platz 20 im europäischen Städteranking.
Ein bemerkenswertes Ergebnis der Analyse ist der massive Anstieg der Aktivitäten in Großbritannien – sowohl in Bezug auf die Zahl der Transaktionen als auch auf das Transaktionsvolumen. „Bislang ist es nicht zu dem von vielen erwarteten Einbruch bei den Risikokapitalinvestitionen in Großbritannien gekommen. Im Gegenteil: Zurzeit wird mehr investiert als vor der Brexit-Entscheidung“, beobachtet Gabriel. Er sieht dafür mehrere Gründe: „Die britische Start-up-Szene ist sehr stark – sowohl im Technologie- als auch im Finanzsektor gibt es zahlreiche vielversprechende Jungunternehmen. Zudem ist bislang völlig unklar, welche konkreten Folgen der Brexit haben wird. Die Karten werden allerdings neu gemischt, wenn es tatsächlich so weit ist. Dann könnte Großbritannien für europäische Gründer deutlich an Attraktivität verlieren.“
Größte Österreich-Deals im Biotech-Bereich
Der größte Deal des Jahres fand aber nicht in Großbritannien statt, sondern in der Schweiz: Das Basler Biotech-Unternehmen Roviant Sciences erhielt im August umgerechnet fast eine Milliarde Euro. Dahinter rangiert das britische Virtual-Reality-Start-up Improbable, das umgerechnet 445 Millionen Euro erhielt. Der britische Essenslieferdienst Deliveroo konnte 428 Millionen Euro einsammeln, das Berliner Start-up Delivery Hero erhielt bei seinem Börsengang im Juni 423 Millionen Euro und einen Monat zuvor eine Finanzspitze von 387 Millionen Euro.
Auch die beiden größten österreichischen Deals fanden im Biotech- bzw. Gesundheitsbereich statt: Das auf die Entwicklung von aktiven Immuntherapien gegen Krebs und Infektionskrankheiten spezialisierte Wiener Biotech-Unternehmen Hookipa nahm rund 53 Millionen Euro auf, das ebenfalls in Wien ansässige Biotech-Unternehmen Arsanis erhielt eine Finanzierung in der Höhe von rund 40 Millionen Euro. Auf Platz drei reihte sich das Grazer Start-up USound, das auf Mikro-Lautsprecher für Smartphones spezialisiert ist, mit einer Kapitalspritze von 12 Millionen Euro ein.
7.4.2018, Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at