Das neue Insolvenzrecht …
Die Bundesregierung verlängert im Rahmen der Coronavirus-Hilfen die Stundungen von Steuern und Abgaben (Sozialversicherungsbeiträge) bis 30. Juni. Auch wird die Möglichkeit geschaffen, diese pandemiebedingten Rückstände mit Ratenzahlungen zu begleichen, wenn die Stundungen enden – „über längere Zeit zu einem weitaus günstigeren Zinssatz“, teilte das Finanzministerium mit. „Wir sorgen dafür, dass die Unternehmen nicht in der ersten Erholungsphase nach dem Lockdown Steuern zurückzahlen müssen. Mit dem neuen Ratenzahlungsmodell geben wir unseren Unternehmen spürbar mehr Zeit, um ihre Steuerrückstände zu zahlen.“
Durch diese Reform des Insolvenzrechts sinkt die Entschuldungsdauer auf drei Jahre. Für Firmen soll das generell gelten, für Private für die nächsten fünf Jahre. Für Firmen ist auch ein neues, präventives Restrukturierungsverfahren geplant. Konkret soll es eine „zweite Chance für Unternehmen“ geben. Bei Gericht soll ein individueller Restrukturierungsplan mit Zustimmung der Gläubigermehrheit erzielt werden. So werde ein Interessenausgleich zwischen dem verschuldeten Unternehmer und seinen Gläubigern hergestellt.
Neustart vor Insolvenz
Anders als bei der Insolvenz müssen dabei nicht alle Gläubiger einbezogen werden. Zudem können die Verluste der Gläubiger verringert werden, so die Bundesregierung. Auch bei Nichtzustimmung einzelner Gläubiger können Forderungskürzungen und -stundungen vorgenommen werden. Der Unternehmer wird bei Bedarf von einem Restrukturierungsbeauftragten unterstützt oder kontrolliert.
Bei dem neuen Restrukturierungsverfahren sind aber noch viele Details offen. Fraglich ist etwa, wie das Unternehmensreorganisationsgesetz – eigentlich „totes Recht“ – tatsächlich zum Leben erweckt werden soll. Wichtig ist auch, ein Gleichgewicht der unterschiedlichen Gläubiger – öffentliche Hand, Banken und kleine Gläubiger – herzustellen. Im Grunde gibt es in Österreich schon lange eine zweite Chance, weil das Insolvenzrecht auch ein Sanierungsrecht und sehr sanierungsfreundlich ist. Gläubiger dürften in Zukunft doch etwas vorsichtiger agieren, weil die Gefahr bestehe, dass die verkürzte Entschuldungsdauer den Schuldnern weniger Zeit lasse, um eine vernünftige Quote anzubieten.
Eine EU-Richtlinie schreibt vor, dass die Entschuldung für Unternehmer auf drei Jahre zu verkürzen ist. Diese Richtlinie ist bis 17. Juli umzusetzen.
Neue Fristen bei Privatinsolvenz
Dank der – vorübergehend – rascher möglichen Entschuldungsmöglichkeit sollen Private schneller wieder eine Perspektive erlangen könnten. Geholfen wird auch Ein-Personen-Unternehmen, wo es oft schwierig ist, zwischen unternehmerischen und persönlichen Schulden zu unterscheiden.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund fordert, dass die Republik zeitlich begrenzt Unternehmen – ob groß oder klein – mit staatlichen Beteiligungen hilft. Das könne in Form eines Fonds erfolgen, so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Beteiligungen sollten in Form stiller Beteiligungen für sieben bis zehn Jahre erfolgen. In dieser Zeit müssten die Mitarbeiter gehalten und den Managern keine Boni ausbezahlt werden. Vorbild könne der Fonds „Stolz auf Wien“ sein, über den sich die Stadt Wien bisher an acht Unternehmen beteiligt hat.
Wenig bis kein finanzieller Spielraum
Um die finanziellen Folgen der Coronakrise abzufedern, werden Mieten, Kreditkarten und Versicherungsbeiträge gestundet; diese Stundungen laufen aber per Ende März aus, die Rückstände können ab dann fällig gestellt werden. Bei der Schuldnerberatung Wien sind die Folgen der Wirtschaftskrise bereits jetzt spürbar. Mittelfristig rechnet Jurist und Schuldnerberater Bernhard Sell man mit einer Zunahme von 30 bis 40 Prozent an Betroffenen, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten werden. Es handle sich um Personen, die Schulden in der Höhe von 5.000 bis 10.000 Euro angehäuft haben. Aus Sicht der Schuldnerberatung sind das eher kleinere Beträge, die aber bereits ausreichen, um eine Überschuldung der Betroffenen herbeizuführen. Finanzieller Spielraum, um Kredite zu bedienen oder Mietrückstände auszugleichen, bestünde in diesen Fällen oft keiner mehr. Unter den Klienten seien auch viele Personen unter 25 Jahren.
Dazu kommt die Sorge um den Arbeitsplatz. Zwar ist die Zahl der Firmeninsolvenzen 2020 bekanntlich sogar gesunken, dies dürfte aber in erster Linie den staatlichen Hilfspaketen geschuldet sein. Wenn die Covid-19-Hilfen auslaufen, werde sich dieser Effekt ins Gegenteil umkehren, meint der Schuldnerberater. Schon jetzt suchen etwa Künstler, Einzelunternehmer und Gastronomen die Hilfe der Schuldnerberatung. Wenn dann noch eine Pleitewelle kommt, werden wohl auch Personen betroffen sein, die momentan noch in Kurzarbeit sind – und dann mit Jobverlust und Nachzahlungen von Miete und Kreditraten zu kämpfen haben werden. Das betrifft sehr viele Frauen, Alleinerziehende und Familien mit Kindern. Auch Teilzeitbeschäftigte seien in einer schwierigen Situation, so wie alle Personen, die schon vor der Pandemie über ein geringes Einkommen verfügt hätten, so Schuldnerberater Sell. Wer merkt, dass das Bedienen von Kreditraten oder gar die Kosten für Miete, Gas und Strom zum Problem werden, dürfe keineswegs den Überblick über die Ausgaben verlieren. Ein Haushaltsbuch, in dem Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt werden, sei jedenfalls empfehlenswert. Auch gelte es, frühzeitig Einsparungspotentiale auszuloten. Dies betreffe etwa Sparformen wie Lebensversicherungen. Es sei kontraproduktiv, zu sparen, wenn man auf der anderen Seite seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könne, so Sell.
Mehr Vorteile als Nachteile
Wenn das Konto dauerhaft überzogen ist, die Fixkosten zum Problem werden oder man öfter Geld bei Freunden borgen müsse, solle man die Hilfe der Schuldnerberatung in Anspruch nehmen. Diese bietet auch Budgetberatungen an. Im Rahmen einer solchen Beratung wird der Fall geprüft, im schlimmsten Fall kann ein Privatkonkursverfahren beantragt werden. Dies habe zur Folge, dass der Zugriff auf das eigene Konto über einen gewissen Zeitraum beschränkt werde, so Sell. Außerdem werde der Name des Schuldners in der Ediktsdatei vermerkt, einem öffentlich zugänglichen Register, das im Justizministerium aufliegt. Die Vorteile würden die Nachteile aber deutlich überwiegen, da man einen Teil der offenen Verbindlichkeiten abzahlen und auf diese Weise in absehbarer Zeit wieder ein schuldenfreies Leben führen könne.
Staatliche Förderungen wie etwa einen Fixkostenersatz für unverschuldet in Not geratene Privatpersonen gebe es keine, im schlimmsten Fall bleibe nur der Weg zu karitativen Organisationen oder dem Sozialamt, sagt Sell. Wenn beispielsweise die Delogierung droht, gebe es in Wien die Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) der Volkshilfe. Diese kann in Härtefällen auch Mietrückstände übernehmen. Die Vergabe erfolge allerdings unter strengen Kriterien, die von der Magistratsabteilung für Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht (MA 40) vorgegeben werden. Die Einnahmen- und Ausgabensituation werde geprüft, ebenso wie die Frage, ob eine entsprechende Hilfe bereits in Anspruch genommen wurde und ob der Mietzins in der Vergangenheit regelmäßig entrichtet worden ist. In allen anderen Bundesländern mit Ausnahme des Burgenlands gibt es vergleichbare Einrichtungen.
„Wir stehen vor der größten sozialen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt FAWOS-Chef Robert Blum. Das werde sich auch in den Obdachlosenzahlen widerspiegeln. Fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Obdachlosigkeit in Wien am höchsten gewesen, auch heute werde dieser Prozess schleichend erfolgen. Der Experte erwartet einen dramatischen Anstieg der Wohnungsnot in den kommenden fünf Jahren. Man müsse jetzt alles daran setzen, die Menschen vor dem Wohnungsverlust zu schützen. Die derzeitigen finanziellen Mittel, die der FAWOS zur Verfügung stehen, werden nicht ausreichen, um der Situation Herr zu werden, so Blum.
Bei der Schuldnerberatung erwartet man in den kommenden Monaten sehr viele Klienten aus dem Bereich kleiner und mittelständischer Unternehmen. Das werde auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben, viele Jobs würden bald gar nicht mehr zur Verfügung stehen, etwa in der Gastronomie. Von einer raschen Erholung der wirtschaftlichen Lage könne man leider nicht ausgehen, meint Schuldnerberater Sell, die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Krise werden wir noch über viele Jahre spüren.
1.3.2021 / Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at