Die doppelte Nachhaltigkeit
Der Klimawandel bleibt auch in der durch Corona angespannten Wirtschaftslage im Blickfeld der Öffentlichkeit. Sowohl das Virus wie auch die Finanzplanung werden uns nachhaltig begleiten …
von Paul Christian Jezek
Finanz„technisch“ gesehen stellen sich derzeit zwei Fragen: Erstens, wie lange dauert die Krise – und wie gravierend sind ihre wirtschaftlichen Folgen? Zweitens, ob Covid-19 nach dem Crash im März nun bereits vollständig in den Kapitalmärkten eingepreist ist.
Die Antwort zur ersten Frage hängt laut Tilmann Galler von J.P. Morgan Asset Management von der Medizin ab – wie schnell es also gelingt, einen Impfstoff, ein wirksames Medikament oder einen zuverlässigen Schnelltest zu entwickeln. Weiters gilt es zu beobachten, wie erfolgreich die fiskalischen und monetären Hilfspakete rund um den Erdball wirken: „Die globale Wirtschaft muss gleich drei schwere Dämpfer verdauen: einen Angebotsschock, einen Nachfrageschock und einen Liquiditätsschock – das macht diese Krise so einzigartig und gefährlich.“
Deutlich besser mit Kapital ausgestattet
Ein Blick nach China und Südkorea sei sehr aufschlussreich: Nach rigorosen Maßnahmen zur Einschränkung sozialer Kontakte haben ausgeprägte Tests zur Eindämmung der Epidemie beigetragen. Die Lockerung der Quarantänemaßnahmen und die Normalisierung der Wirtschaft haben in diesen Ländern wieder begonnen, unterstützt durch weitere Konjunkturpakete. Galler: „Das sollte uns vor Augen führen, dass Corona eine temporäre Krise ist. Für Unternehmen bedeutet das, dass in diesem Jahr die Gewinne aufgrund der globalen Rezession zwischen 20 und 30 Prozent fallen werden, doch für die Bewertung der Firmen spielt es eine viel größere Rolle, was in den Jahren danach passieren wird.“ Und hier sollte man sich den Optimismus nicht nehmen lassen, dass sich nach dem Überwinden der Krise die Ertragslage wieder deutlich verbessern werde.
Carsten Roemheld von Fidelity International ist überzeugt, dass wir nicht zwölf Jahre zur Finanzkrise, sondern mehr als ein Jahrhundert zurückblicken sollten, um Anhaltspunkte für die kommenden Monate abzuleiten: Der Ausbruch des Coronavirus sei wie die Grippepandemie von 1918/19 eine ereignisbezogene Krise. Damals dauerte die Rezession sieben Monate, obwohl der zweiten Infektionswelle im Herbst 1918 mehr Menschen zum Opfer fielen als der ersten. Die Bilanzrezession 2008 wurde dagegen durch den Zusammenbruch des Immobiliensektors und denVertrauensverlust in den Finanzsektor ausgelöst. Roemheld: „Europäische und amerikanische Banken sind heute deutlich besser mit Kapital ausgestattet und widerstandsfähiger als 2008. Sie dürften die aktuelle Krise daher ähnlich gut überstehen wie das Platzen der Dotcom-Blase 2001/02.“
Nachhaltigkeit pusht das Wachstum
Die hohe Politik weist den Weg: Eine Initiative der Umwelt- und Klimaschutzminister von zehn EU-Staaten forderte im April, dass der wirtschaftliche Wiederaufbau nach Covid-19 auf grünen Technologien und Nachhaltigkeit beruhen soll. Banken und Versicherungen können dabei großen Einfluss nehmen – denn durch ihre Veranlagungskriterien und Kreditbedingungen beeinflussen sie die Entwicklung und Nachhaltigkeitswirkung verschiedenster Branchen.
Ökologische und soziale Standards werden deshalb von vielen Instituten bereits ins Kerngeschäft integriert. „Green Finance ist im Aufwind“, bestätigt David O’Leary, Vorstandsmitglied der BAWAG Group. „Immer mehr Anleger wollen, dass sich ihre Veranlagungsstrategie nicht nur positiv auf ihre Rendite auswirkt, sondern auch einen Beitrag zu einer besseren Welt leistet.“ Das lässt sich ganz konkret nachweisen: Die in nachhaltige Amundi-Investmentfonds veranlagte Gesamtsumme hat sich bei BAWAG P.S.K.-Kunden innerhalb eines Jahres verfünffacht, und zwar von 23 Millionen Euro Ende 2018 auf 118 Millionen per Ende 2019. Außerdem hat mehr als die Hälfte jener Kunden, die sich für ein Produkt des BAWAG P.S.K.-Partners Savity entschieden haben, in das Produkt „Savity Green“ investiert, bei dem nur in Branchen und Firmen veranlagt wird, die ESG-Prinzipien berücksichtigen. Dieses Produktportfolio produziert um 38 Prozent weniger CO2 als übliche, global gestreute Aktienportfolios ohne diesen Filter. „Ökologische und soziale Kriterien werden immer mehr zu Gamechangern bei Investment-Entscheidungen“, fasst O’Leary zusammen.
Bei der Raiffeisen KAG wurde per Ende 2019 beim Fondsvolumen mit 38,3 Milliarden Euro der absolute Höchststand seit der Finanzwirtschaftskrise erreicht. „Allein für die vergangenen drei Jahre bedeutet das eine Steigerung des verwalteten Vermögens von 26 Prozent um rund acht Milliarden Euro“, begründet Raiffeisen KAG CEO Rainer Schnabl diese Zuwächse vor den Corona-Wirren mit der grundsätzlichen Beliebtheit von Fondssparen im derzeitigen Zinsumfeld – und vor allem darauf, dass „Nachhaltigkeit mittlerweile ein entscheidendes Kriterium für Anlageentscheidungen“ geworden ist.
(Noch viel) Mehr Speed erwünscht!
So manchem Konsumenten geht die Positionierung der Geldinstitute noch deutlich zu langsam. „Mir ist schon aufgefallen, dass sich im Finanzsektor immer mehr Firmen Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben“, sagt Laurenz Faber, Komiteemitglied bei „Fridays for Future“. „Diese Imagekampagnen betrachte ich aber immer kritisch, denn die größten Kapitalverwalter der Welt schlagen immer noch Profit aus fossilen Energieträgern, ohne die katastrophalen Auswirkungen der fortschreitenden Klimakrise zu berücksichtigen.“
Umso wichtiger sei es seiner Meinung nach, dass „mutige Banken und Versicherungen voranschreiten und ihren Konkurrenten zeigen, dass wirtschaftlicher Erfolg und moralisches Rückgrat nicht unvereinbar“ seien. Fridays for Future fordere von allen Kapitalverwaltern der Welt schrittweises Divestment aus allen fossilen Projekten und mit sofortiger Wirkung das Ende aller Investments in neue fossile Explorationsprojekte. „An der Umsetzung dieser Forderungen messen wir die Finanzkonzerne“, betont Faber.
Dementsprechend hat sich Erste Asset Management als größte Fondsgesellschaft in Österreich kürzlich dazu entschlossen, Erdöl-Unternehmen vorzeitig aus den nachhaltigenUmweltzeichen-Fonds auszuschließen. Das betrifft derzeit immerhin neun Fonds mit einem Vermögen von rund 1,3 Milliarden Euro (per April 2020). „Ein Ausschluss von Erdöl-Unternehmen kann aus ethisch-moralischen Motiven erfolgen, also wenn man keine Beteiligung an großen Treibhausgasemittenten haben möchte“, erklärt EAM-Manager Walter Hatak.“Es kann aber auch aus Risikogesichtspunkten erfolgen, also um die Pariser Klimaziele zu erfüllen. Wir haben uns aus beiden Gründen entschieden, die neuen Bestimmungen des österreichischen Umweltzeichens vorwegzunehmen, die in Zukunft einen Ausschluss aus ethisch zertifizierten Umweltfonds verlangen.“ Auch hier also eine „doppelte Nachhaltigkeit“ …
23.06.2020 / Autor: Paul Christian Jezek / p.jezek@lex-press.at