Benimm-Regeln als Ausdruck von Respekt und Zugehörigkeit.

… mehr denn je verstärkt sich der Eindruck – die etwas zynische Formulierung sei gestattet. Und bald 70 Jahre, so wird die Geschichte Europas immer wieder beschworen, sei Friede im Lande. Die „schädlichen“ Folgen sind im kleinen Alltag wie im großen Einzelfall spürbar. Gutes Benehmen macht nicht nur Freunde, es kann zum positiven Wirtschaftsfaktor werden, wenn es Schäden an Personen und am Image vermeiden hilft.

DI Michael Sprinzl
DI Michael Sprinzl

92% der Österreicher finden gutes Benehmen wichtig (IMAS Institut im August 2012). Ebenso ärgern sich 90% der Deutschen über schlechtes Benehmen anderer, der Wermutstropfen dabei: über 80% wissen, dass sie sich selber auch danebenbenehmen. Potenzial für Verbesserung ist also genug vorhanden. Die Kriterien haben sich aber im Laufe der Jahre stark geändert: gelten heute „Vordrängen“, oder auf der Straße etwas wegwerfen, mit ungesäuberten Händen aus der Toilette zu kommen, als No-Go, so war es früher ungehörig, der Dame nicht in den Mantel zu helfen oder anders als im Anzug ins Theater zu gehen. Aber beim Umgang mit dem Mobiltelefon und seiner Klingel bestehen noch Möglichkeiten zur Verbesserung des Verhaltens.

Die „Basics“ fehlen

Der Leiter des AMS hat im Interview vor einiger Zeit davon gesprochen, dass die Kernprobleme der Lehrlin-ge vor allem im Fehlen der Grundkenntnisse aus Lesen, Schreiben, Rechnen und Grüßen liegen. Ein wenig erschrocken über das „Grüßen“ hat er dann diesen Begriff gezielt auf „Social Skills“ ausgeweitet – das klingt erstens besser, weil weniger repressiv – und öffnet zweitens freilich einen etwas breiteren Zugang zur Problematik mangelnden „Benimms“.

Der Autor hatte in letzter Zeit mehrfach Gelegenheit, Jugendliche, auch solche aus sogenanntem gutbürgerlichen Haus (was aber in Wahrheit gleichgültig ist, eine gutbürgerliche Erziehungs-Ruine ist ebenso Ruine wie eine proletarische) bei der Nahrungsaufnahme zu beobachten. Der ungezwungene Umgang mit Messer und Gabel war ihre Sache nicht – da wurde das arme Hühnerfilet erst mit der Gabel zerdrückt und dann die Teile mit dem Finger auf die Gabel bugsiert.

Welche Folgen derartige Defizite jedoch haben können, zeigt sich hübsch am Beispiel des Verkaufsleiters eines großen Unternehmens: da der Kundenkreis durchaus auch hochelitäre Elemente umfasste, war es nötig, mit dem an sich absolut hochqualifizierten Mann, bevor er an gehobenen Kundenevents teilnehmen konnte, in bessere Restaurants zu gehen und dort den Umgang mit dem üblichen Instrumentarium zu üben. Dass er dann auch noch gelernt hat, einen Hummer zu zerteilen, war natürlich das Tüpfelchen auf dem „i“! Einen Hummer fahren, das hätte er ja jederzeit gekonnt.

Auch der Leiter einer großen Beratungsfirma hat kürzlich dem Autor gegenüber geklagt, er hätte bestqualifizierte Ökonomen, Juristen und Psychologen in seinem Team, aber zum Staatsopernbesuch und Abendessen mit dem über sechzigjährigen Aufsichtratsvorsitzenden einer internationalen Holding könne er eigentlich niemand schicken. Begründung: siehe oben; ergänzt durch mangelndes Allgemeinwissen.

Benimm-Regeln als Ausdruck von Respekt und Zugehörigkeit

In Gesellschaften, welcher Art auch immer, ermöglichen Regeln das reibungslose Funktionieren des Miteinander. Ihre Einhaltung ist Ausdruck der Zugehörigkeit, daher sind sie zur klaren Abgrenzung oft bis in kleine Details ausdifferenziert (das „Spanische Hofzeremoniell“) oder sehr artspezifisch und nicht immer nachahmenswert (zB Fußballfans). Wer dabei aber locker mitmachen kann, zeigt auch den Respekt vor der Gemeinschaft und findet leichter Anerkennung. Es ist daher nicht grundlos, dass diverse Benimm- und Outfit-Seminare boomen. Wer einmal tüchtig auf die Nase gefallen und bereit zur Selbsterkenntnis ist, sucht nach Verbesserung.

Nicht grundlos hat es ein Buch mit dem Titel „Manieren“ in die Bestsellerlisten geschafft. Ebenso finden die Seminare und Ratgeber zur Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche großen Anklang. Immerhin geht um Entscheidendes: die weitere eigene Existenz. Eigentlich sollte man ja wissen: Mit dem Handy am Ohr ein Zimmer zu betreten ist ebenso ungehörig wie eine Verspätung. Der Zettel, der dem Personalchef vom Tisch fällt, ist meist kein Opfer der Schwerkraft, er ist Test, ob der/die Kandidat/in bereit ist, ihn auch aufzuheben.

Nebstbei bemerkt: „Benimmkurse“ für Führungskräfte zur optimalen und respektvollen Abwicklung von Mitarbeitergesprächen wären auch kein Nachteil. Von „Wertschätzung“ ständig zu reden ist eines, sie durch Handeln auszudrücken, fällt den meisten schon recht schwer. Und wieviel gutes Benehmen und korrekter Umgang mit anderen Menschen im Unternehmen zur Verhin-derung von Burn-Out beitragen kann, wäre eine eigene Untersuchung wert.

Manchmal ist gutes Benehmen ja auch schlicht ein Nutzenfaktor: zuerst aussteigen lassen und dann in die U-Bahn einsteigen verkürzt den Aufenthalt. Ein beliebter Zeitfresser ist das zügige Aufstehen und Am-Gang-Drängeln der Passagiere in einem Flugzeug vor dem Aussteigen – der eigene Nutzen geht gegen Null, aber alle übrigen werden verlässlich behindert.

Bitte – Danke. Ein unübertroffenes Hilfsmittel

Wer gewohnt ist, stets „Bitte“ und „Danke“ zu sagen, zeigt Respekt vor dem Objekt seiner Begierde und der Person. Es wird ihm auch deutlich schwerer fallen, sich ungefragt und unreflektiert an Allem und Jedem zu bedienen. Die kurze Pause im Handeln, der Kontakt mit dem Gegenüber stoppt die Selbstverständlichkeit – und vielleicht auch die Unüberlegtheit – des Zugriffs. In letzter Konsequenz tritt an die Stelle dicker Compliance-Regeln und Verhaltenskodizes dann hoffentlich ein kurzes Aufleuchten des „Das gehört sich nicht“ als Ausdruck eines gewissen Basis-An-stands. Das schnelle Aus-dem-Weg-Räumen möglicher moralischer Hindernisse mit Ellbogenkraft weicht dann vielleicht der Überlegung, „ist es gescheit, wenn ich das offenkundig unsittliche aber verlockende Angebot annehme? Ist es klug, den anderen mit einem fragwürdigen Vorschlag zu verführen?“ Wer so denkt, erspart sich und dem Unternehmen Risiken, Imageschäden und vermeidet wirtschaftliche Nachteile.

Übrigens: „Steigen Sie nicht mehr ein“ bei der Wiener U-Bahn wäre mit dem Zauberwort „bitte“ auch gleich viel höflicher und korrekter.

Feedback geben – oder Hinunterschlucken?

Das Ausmaß der Selbstverständlichkeit schlechten Benehmens soll durch vermeintlich „vornehme Zurückhaltung“ nicht noch gesteigert werden. Die spürbaren Folgen von fehlender Rücksicht, von mangelnder Beherrschung der eigenen Person, aber auch diverser gesellschaftlicher Regeln und Fähigkeiten, die Ausbreitung von wirtschaftlich und gesellschaftlich merkbarem Fehlverhalten sind durchaus zu mindern. Feedback an Mitarbeiter, Freunde und Kollegen zu geben, wenn es denn selbst den Regeln des Benimms gehorcht (also wertschätzend – nicht nur als Phrase; persönlich und unter Rücksicht auf die Situation und die Art des Ausrutschers) wird sich stets lohnen. Und vielleicht wollen Sie dann ja mal aus purem Vergnügen und nicht als Lehrstunde mit ihren besten Mitarbeitern zur gesellschaftlichen Festigung auf einen Hummer gehen.

Guter Vorsatz?

Die Überlegungen mögen diesmal nicht allein als grantelnde „Motze-rei“ über halt hinzunehmende Gegebenheiten des Lebens verstanden werden. Nach der Jahreswende ist die erste Serie guter Vorsätze ohnedies schon gebrochen, aber als nachhaltige Anregung zu längerfristiger Arbeit am eigenen Verhalten dürfen die Bemerkungen schon verstanden werden. Ein in jeder Hinsicht erfolgreiches Jahr 2013 wünscht Ihnen und Ihren Angehörigen und Mitarbeitern Ihr Michael Sprinzl.

Autor: Michael Sprinzl – Gründer und Inhaber des Beratungsunternehmens ‚DerSprinzl‘; Interessenvertreter seit 25 Jahren. Lehrbeauftragter für Public Affairs an der Universität Wien und an der FH des bfi. Lebt in Wien, ist Liebhaber klassischer Musik und begeisterter Fotograf.

Kontakt: Dipl.-Ing. Michael Sprinzl, E-Mail: office@dersprinzl.com