Die Wiener Börse zeigt, wie’s geht
Ein Euro investiert in börsennotierte Firmen bringt 2,3 Euro für die heimische Wirtschaft – und Privatanleger können auch enorm profitieren.
Sommer und Herbst 2017 waren für die Wiener Börse fruchtige Jahreszeiten: Die deutliche Outperformance des österreichischen Aktienmarktes gegenüber europäischen und globalen Vergleichsindizes nahm weiter zu. Seit Jahresbeginn (bis Oktober) betrug der Anstieg rund 30 Prozent, inklusive Dividendenzahlungen noch einmal um etwa drei Prozent mehr. Da können weder DAX, EuroStoxx50, CAC40 noch Dow Jones oder S&P500 mithalten und damit zählt der österreichische Leitindex ATX rund um den Globus zu den sich am stärksten entwickelnden Aktienindizes. Die Gründe dafür sind vielfältig. Fairerweise sollte gleich zu Beginn erwähnt werden, dass der Börseplatz Wien erheblichen Nachholbedarf hatte. Im Vergleich zu anderen Börsen hat der Markt auch in der aktuellen Hausse erst später zu einer markanten Aufwärtsbewegung angesetzt. Während also DAX, S&P500 und Co. schon auf neuen Allzeithochs notieren, rangiert der ATX noch unter seinem Hoch aus dem Jahr 2007.
Weiter rauf mit den Kursen!
Was wiederum die Phantasien sprießen läßt, denn schließlich bedeutet das noch durchaus beachtliches weiteres Aufwärtspotenzial. „Der Konjunkturboom in Osteuropa mit Wachstumsraten zwischen 3 und 5 Prozent lässt unseren Heimmarkt im relativen Vergleich weiterhin attraktiv erscheinen“, sagt Bernd Maurer, Chefanalyst der Raiffeisen Centrobank (RCB). Immerhin sind viele heimische Unternehmen stark in den CEE-Märkten präsent, die derzeit viel massiver als die Eurozone wachsen. So soll etwa das Wirtschaftswachstum in Rumänien per Ende 2017 mit 5,7 Prozent fast schon chinesische Ausmaße erreichen.
Neuer Rekord durch die Bawag
Spektakulär war weiters der bisher größte Börsegang in Wien (und der immerhin drittgrößte 2017 auf europäischer Ebene) der viertgrößten Bank des Landes, der Bawag. Knapp 40 Prozent der Bank sind damit nun im Streubesitz; die Aktie hat im ATX (im dem die 20 größten Firmen gelistet sind) von Beginn an den Feuerfestkonzern RHI ersetzt.
Banken- und Versicherungswerte sind generell stark (mit-)verantwortlich für den Aufschwung, weil auch Erste Group, Raiffeisen Bank International (RBI), Uniqa und Vienna Insurance besonders hohes Gewicht im ATX haben – gemeinsam haben die vier schon vor dem Bawag-Börsengang beinahe ein Drittel des Indexgewichts ausgemacht. Finanzwerte waren nach der Krise 2008 tief gefallen und die damaligen Einstiegskurse waren daher günstig. „Das Umfeld für die Finanzwelt hat sich mit der Aussicht auf moderat steigende Zinsen weiter verbessert“, erklärt Maurer.
„Die Aktien der RBI sind sehr gut gelaufen und haben noch viel Potenzial“, bestätigt Experte Klaus Umek, Gründer des instituionellen Offshore-Hedgefonds Petrus Advisers. „Das gilt auch für Aktien der Erste Group Bank. Auch Uniqa und VIG ebenso wie z.B. Wienerberger sind zu billig, der Markt ist definitiv nicht ausgereizt.“ Zuletzt erreichte der durchschnittliche Monatsumsatz der Wiener Börse mit 5,5 Mrd. Euro den höchsten Stand seit 2010 mit Erste Group, OMV, voestalpine, RBI und Andritz als größten und am stärksten gehandelten Titeln.
Börse-Initiativen mit Zukunft
Die Wiener Börse tut auch selbst eine Menge, um ihre Attraktivität weiter zu steigern – etwa mit neuen Segmenten. So sind seit Herbst 60 passive Indexfonds (ETF) handelbar. Schon im Juli wurde das Segment „Global Markets“ mit etwa 430 Wertpapieren aus 17 Ländern realisiert. Damit will die Börse jene Investments der Österreicher ins Land zurückholen, die zuletzt über Auslandsbörsen abgewickelt wurden. Und das scheint durchaus zu gelingen, denn laut Börse steigen die Global Markets-Umsätze monatlich um durchschnittlich 34 Prozent und liegen aktuell bei etwa 2,5 Millionen Euro pro Tag. Damit habe das Segment seit dem Start schon an die 100 Umsatzmillionen eingebracht. Dazu kommt, dass Wien mit internationalen Titeln wie den besonders gefragten Apple, Tesla, Alphabet oder Amazon (Global Markets beinhaltet alle Dow-Jones- und Nasdaq-100-Titel) viele deutsche Regionalbörsen und oft sogar auch Frankfurt überholt und damit Wien laut Börse-Chef Christoph Boschan „im internationalen Umfeld wieder sichtbar macht“.
Um ihre Positionierung auszubauen, hat die Wiener Börse ihre Marktposition analysiert: Das starke Fundament liegt im Aktienhandel als Hauptgeschäftsfeld, das rund die Hälfte des Unternehmensumsatzes ausmacht.
Mit 75 % Marktanteil bei österreichischen Aktien ist die Wiener Börse zudem klarer Marktführer und verschafft den notierten Austro-Firmen einen Platz im globalen Schaufenster.
Weitere bedeutende Geschäftssäulen sind der zentrale Marktdatenfeed für CEE sowie die Berechnung von mehr als 130 Indizes und als technischer Dienstleister liefert man IT-Services für fünf weitere Börsen und zahlreiche Finanzinstitute in der CEE-Region.
Durch gezielten globalen Vertrieb und weitere neue Initiativen will die Börse ihre Umsätze in den nächsten vier Jahren um rund 30 % steigern. Heute stammen bereits vier Fünftel des Umsatzes aus dem Ausland – darauf möchte die Börse weiter aufbauen und ihre internationalen Aktivitäten verstärken, um dieses Potenzial optimal zu nützen. Weiters will man die Best-Execution für österreichische Aktien ausbauen und im Marktdatengeschäft künftig stärker auf Data Analytics setzen.
Das Börsebewusstsein stärken
Als zentraler Infrastrukturanbieter übernimmt die Wiener Börse auch gesellschaftliche Aufgaben, die nicht zu ihren geschäftlichen Einnahmen beitragen: Moderne Informationspolitik und Financial Literacy sollen Anleger, Politik und Unternehmen auf die Vorteile der Börse aufmerksam machen.
Darum werden die bereits bestehenden Anstrengungen auch in diesem Bereich intensivert – Anleger sollen über die Wiener Börse als zentrale und neutrale Anlaufstelle zu allen handelsrelevanten Informationen kommen.
Dabei setzt die Börse auf moderne Tools und Kommunikationskanäle und sieht Bildung als „besten Anlegerschutz“. Eine zentrale Forderung: Finanzbildung müsse dringend in die Lehrpläne der heimischen Schulen!
4.11.2017, Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at
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