Eine WIFO-NTNU-Kurzanalyse von Gabriel Felbermayr und Inga Heiland zu einem möglichen „Öxit“. (Symbolbild: pixabay.com)

Wie würde sich der Wohlstand in Österreich verändern, wenn es die Europäische Union plötzlich nicht mehr gäbe? Die Simulationsergebnisse zeigen: Nach vollständiger Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen wäre der Realwert des Bruttoinlandsprodukts (in Preisen von 2022) zwischen 35 und 47 Mrd. € niedriger.

Bei einem überraschendem Öxit käme es kurzfristig wohl zu einem doppelt so hohen Schaden. Pro Kopf gerechnet lägen die wirtschaftlichen Einbußen zwischen 2.735 € und 5.190 € (90% Konfidenzintervall, Mittelwert 3.860 €), damit liegt Österreich im EU-Ranking auf Platz 6 von 27, wobei die ersten drei Plätze auf sehr kleine EU-Mitgliedsstaaten entfallen. Von diesen Bruttoeffekten wäre der österreichische Nettobeitrag abzuziehen, der im Jahr 2022 zwischen 113 € und 184 € pro Kopf lag.

Die Analyse kann mit Hilfe der tatsächlichen Effekte des Ausscheidens des Vereinigten Königreichs aus der EU validiert werden. Sie identifiziert allerdings nur Untergrenzen für die wahren Kosten, weil die Vorteile der EU-Integration auf die Innovationstätigkeit, die Außen- und Sicherheitspolitik oder die individuelle Freiheit der Bürger:innen nicht quantifiziert werden können.

Obwohl die EU-Mitgliedschaft ein ausgezeichnetes Geschäft für Österreich darstellt, verbleiben im Binnenmarkt große interne Barrieren. Deren Beseitigung, etwa durch Schaffung eines Binnenmarktes für Energie, einer Kapitalmarktunion oder einer europäischen Infrastrukturinitiative, könnte die ökonomischen Vorteile der EU für Österreich noch einmal deutlich erhöhen und dringend benötigtes Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Zusammenfassung

  • Um den wirtschaftlichen Nutzen der EU-Mitgliedschaft Österreichs abzuschätzen, wird die
    Auswirkung Rückabwicklung der bisher erfolgten europäischen Integrationsschritte analy-
    siert. Die empirisch beobachtbaren Effekte des Binnenmarktes, der Zollunion, der Wäh-
    rungsunion, des Schengenabkommens und der Freihandelsabkommen würden wegfallen,
    ebenso aber die Nettotransfers an den EU-Haushalt.
  • Die existierende wissenschaftliche Literatur zu den Effekten des Brexits auf das Vereinigte
    Königreich zeigen, dass die mit solchen Modellen vor dem Bruch mit der EU errechneten
    Effekte ex post auch eingetreten sind. Das reale BIP des Vereinigten Königreichs dürfte auf-
    grund des Brexits um 3,2% bis 6,7% niedriger liegen, als es sonst wäre.
  • Gesamtwirtschaftlich würde ein Zusammenbruch der EU in Österreich den Realwert des BIP
    langfristig im Mittelwert um etwa 7,8% niedriger ausfallen lassen. Das 90%-Konfidenzintervall
    reicht von 5,3% bis 10,4% des BIP. In absoluten Zahlen liegt der erwartete Effekt bei 35 Mrd. €
    (24 bis 47 Mrd. €) pro Jahr. Kurzfristig dürften die wirtschaftlichen Einbußen bei einem uner-
    warteten Öxit doppelt so hoch sein.
  • Der wirtschaftliche Vorteil der EU beträgt in Österreich pro Kopf im Mittel circa 3.860 € pro
    Jahr, wobei 90% der simulierten Effekte im Intervall von 2.735 € bis 5.190 € liegen. Mit diesem
    Wert liegt das Land an der 6. Stelle der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Die Nettozahlungen an den
    Haushalt der EU betragen hingegen weniger als ein Zehntel dieses Beitrages pro Jahr, so-
    dass das Land einen großen Nettovorteil pro Kopf von circa 3.700 € pro Jahr erzielt.
  • Etwa drei Viertel des ökonomischen Vorteils Österreichs stammt aus dem Binnenmarkt. Die
    Mitgliedschaft in der Schengenzone und in der Währungsunion bringt deutlich kleinere,
    aber dennoch signifikante Vorteile. Auch die Zollunion und die Freihandelsabkommen der
    EU haben einen positiven ökonomischen Wert für Österreich. Weil ein Teil der Nettozahlun-
    gen in den Nettoempfängerstaaten für Güter und Dienstleistungen aus Österreich ausge-
    geben wird, ist der wirtschaftliche Nachteil daraus kleiner als die Höhe der Überweisung.
  • Der Binnenmarkt ist der wichtigste Beitrag der EU zum Wohlstand in Österreich. Allerdings
    gibt es erhebliche Wachstumspotenziale durch die weitere Vertiefung des Binnenmarktes.
    Neben rechtlichen Voraussetzungen braucht es aber auch einen Ausbau der Infrastruktur
    im grenzüberschreitenden Bereich, etwa der Strom-, Schienen- und Datennetze.

Der Nettobeitrag Österreichs zum EU-Budget
In den letzten Jahren hat Österreich in den ordentlichen Haushalt der EU jährlich 3 bis 4 Mrd. €
einbezahlt. Die höchste Zahlung erfolgte im Jahr 2020. In Summe wurden 3,55 Mrd. € überwie-
sen. 3,02 Mrd. € davon bemessen sich am Bruttonationaleinkommens (BNE) und 530 Mio. € an
den Mehrwertsteuereinnahmen. Dazu kommen einige Korrekturen. Zusätzlich zu diesem „nati-
onalen Beitrag“ erhielt die EU im Jahr 2020 80% der in Österreich angefallenen Zolleinnahmen.
Dieser Wert betrug circa 210 Mio. €, wodurch sich Eigenmittel aus Österreich in der Höhe von
3,76 Mrd. € ergeben, was 2,34% der gesamten Eigenmittel der EU ergibt. In den folgenden Jah-
ren waren die Überweisungen an die EU etwas geringer.

Österreich erhält aus dem EU-Budget Zahlungen, die in den letzten Jahren bei etwa 2,3 Mrd. €
lagen. Direktzahlungen an die Landwirte machen etwa ein Viertel der Auszahlungen aus; ge-
folgt von anderen Zahlungen für die Entwicklung ländlicher Räume und für die wirtschaftliche
Kohäsion. Für Investitionen in grenzüberschreitende Netze erhielt Österreich 2022 152 Mio. €, für
Forschung (Horizon Europe) 322 Mio. €. Weil die Einzahlungen die Auszahlungen übersteigen,
ist Österreich ein Nettozahlerland.

Je nach Berechnungsmethode (Eigenmittel versus nationale Beiträge) macht der Nettobeitrag
Österreichs zum EU-Budget in den letzten Jahren zwischen 0,23% und 0,44% des BNE aus. Das
sind zwischen 113 € und 184 € pro Kopf. So gesehen kostet die Mitgliedschaft Österreichs in der EU pro Tag und Einwohner nicht mehr als 50 Cent. Neben fiskalischen Kosten erzeugt die EU in Österreich aber auch andere, kaum quantifizierbare Kosten, die sich aus dem Verlust eigener nationaler Gestaltungsspielräume ergeben . Wie groß dieser Nachteil ist, ist schwer zu sagen, denn nationale politische Spielräume können auch zum Nachteil Österreichs gereichen. Außerdem bestanden schon vor dem Eintritt in die EU für unsere kleine, offene Volkswirtschaft in vielen Bereichen keine Freiheitsgrade. So wurden die Geldpolitik der Bundesbank und viele Regelungen im EU-Binnenmarkt vollständig übernommen. Der Nettobeitrag Österreichs ist nach der Osterweiterung der EU (2004, 2007) an-
gestiegen. Bezogen auf die Kosten pro Kopf ist Österreich der fünftgrößte Financier der EU.
Das erscheint adäquat, schließlich hat Österreich auch das fünfthöchste BIP pro Kopf in der EU
(Zahlen für 2022).

Felbermayr (2024) kritisiert, dass die EU ihre Mittel nicht auf die Erstellung europäischer Gemein-
schaftsgüter konzentriert. Dies reduziert die Nützlichkeit der gemeinsamen Politik und stärkt den
Transfercharakter des Haushalts. Durch die schuldenfinanzierte Aufstockung der Mittel im Rah-
men des NextGenerationEU-Programmes (NGEU) in den Jahren 2022 bis 2026 hat sich dieser
Sachverhalt leider nicht gebessert. Wie sehr diese neuen Ausgaben Österreich netto belasten,
ist noch nicht klar, weil die genauen Modalitäten der Schuldentilgung noch nicht feststehen.
Es ist aber davon auszugehen, dass die EU-Mitgliedschaft durch NGEU teurer geworden ist, ob
sie auch wertvoller geworden ist, kann aktuell noch nicht gesagt werden und erfordert eine
nähere Analyse.

Wirtschaftspolitische Empfehlungen und Schlussfolgerungen
Diese Studie zeigt, dass die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union mit wirtschaft-
lichen Vorteilen verbunden ist, deren Höhe den Nettobeitrag in den Haushalt der EU mindes-
tens um den Faktor 10 übersteigt. Bräche die EU auseinander, würden diese Nettovorteile ver-
loren gehen. Ein unilateraler Austritt Österreichs (Öxit) hätte vermutlich noch größere, negative
Effekte. Die EU-Mitgliedschaft ist für Österreich also ein lukratives Geschäft.
Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zeigt, welche Schäden entstehen können.
Das reale BIP wird aktuell zwischen 3,0% und 6,7% niedriger geschätzt, als es ohne Brexit gewe-
sen wäre, und das, obwohl ein Freihandelsabkommen existiert und das Vereinigte Königreich
über einen großen Inlandsmarkt verfügt. Das deutlich kleinere Österreich profitiert stärker von
den Vorteilen der EU aufgrund seiner geographischen Lage und Wirtschaftsstruktur. Eine Ab-
koppelung von der EU würde es daher auch stärker treffen.
Der größte Beitrag zum volkswirtschaftlichen Nutzen der EU stammt aus dem Binnenmarkt. Aber
auch die Schengenzone, die Währungsunion, die europäische Zollunion und die Freihandels-
abkommen tragen zum positiven Gesamteffekt bei. Dennoch ist die Zufriedenheit mit der EU
laut Euro-Barometer-Umfragen begrenzt. Vor allem Unternehmen zweifeln daran, ob die EU
ihnen und der österreichischen Volkswirtschaft wirklich per Saldo Vorteile bringt. Die Bedenken
sind insofern berechtigt, als die Einführung des Binnenmarktes bereits mehr als 30 Jahre zurück-
liegt und die daraus resultierenden Wachstumseffekte weitgehend verpufft sind. Gleichzeitig
ergeben viele Studien, dass innerhalb der EU immer noch hohe Hürden im grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Geschehen existieren. Das gilt vor allem im Handel mit Dienstleistungen. Santamaria et al. (2020) zeigen mit granularen Daten zum intraeuropäischen Handel „Europe is far from having a single market“. Diese Aussage mag angesichts der in dieser Studie gemessenen Effekte übertrieben erscheinen, sie weist aber auf ein hohes Potenzial für eine weitere Vertiefung und thematische Erweiterung des EU-Binnenmarktes hin.
Die Bereiche Energie, Finanzmarkt und Telekom blieben bei der Konzeption des Binnenmarktes
unberücksichtigt. Die Schaffung einer EU-Kapitalmarktunion und einer europäischen Energie-
union könnten substanzielle weitere Wohlfahrtsgewinne entstehen lassen und für Wachs-
tumsimpulse in Europa sorgen. Eine ambitionierte Vertiefung des Binnenmarktes würde, gemäß
den in dieser Studie dokumentierten Strickmustern der bisherigen EU-Integration, ein gutes Kos-
ten-Nutzen-Verhältnis haben. Es ist erfreulich, dass der jüngst erschienene und breit diskutierte
Bericht des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta Impulse in diese Richtung
setzt.
Ein großer Vorteil einer Vertiefung des Binnenmarktes liegt darin, dass damit zunächst keine
finanziellen Belastungen für die Bürger:innen verbunden sind, weil es um die Hebung von Effizi-
enzgewinnen geht. Allerdings hat der Binnenmarkt auch infrastrukturelle Voraussetzungen. So
ist die grenzüberschreitende Infrastruktur – von Stromtrassen, Gaspipelines, Straßen, Schienen-
wegen bis hin zu Datenleitungen – in Europa nicht ausreichend ausgebaut. Die gemeinsame
Schuldenaufnahme im „NextGenerationEU“-Programm hat Investitionen in diese gemeinsamen
Infrastrukturen leider gerade nicht angeschoben. Das ist eine verlorene Chance. Umso drin-
gender wird es aber, dass mit Hilfe der EU-Kapitalmarktunion private Mittel für die erforderlichen
Investitionen gewonnen werden können.

Europa muss sich rechnen, damit die Bürger:innen dem Integrationsprojekt weiter loyal gegen-
überstehen (Felbermayr, 2024). Das bedeutet, dass es seine ökonomischen Vorteile ausspielen
muss. Neben der Vertiefung des Binnenmarktes braucht es dafür auch echte Reformen der
Währungsunion und der Schengenzone. Damit der Euro ein verlässlicher Stabilitätsanker sein
kann, braucht es robuste und durchsetzbare Fiskalregeln. Auch die jüngsten Anpassungen rei-
chen noch nicht aus. Und damit die Schengenzone ihr volkswirtschaftliches Potenzial voll reali-
sieren kann, muss der gemeinsame Schutz der Außengrenze gelingen, sonst bleiben Personen-
kontrollen an den Binnengrenzen der EU notwendig.
Die vorliegende Studie zeigt: Europa rechnet sich für die österreichische Bevölkerung und die
Betriebe, und zwar sehr deutlich. Die ökonomischen Vorteile könnten aber noch größer sein,
vor allem wenn der Binnenmarkt noch tiefer und funktionsfähiger wäre. Dafür lohnt es sich zu
kämpfen.

3.6.2024, Autorenteam: Gabriel Felbermayr (WIFO) und Inga Heiland (NTNU), Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, www.wifo.ac.at