EuGH: „Ohne Schaden steht einem Betroffenen auch kein Anspruch zu“. (Symbolbild: pixabay.com)

Im Juli 2020 forderte ein Betroffener von der Österreichischen Post AG immateriellen Schadenersatz, weil diese ohne seine Einwilligung seine vermutete Parteiaffinität erhob und zu Direktmarketingzwecken nutzte. Der OGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH diverse Fragen zu den Voraussetzungen eines immateriellen Schadenersatzanspruches nach Art 82 DSGVO zur Vorabentscheidung vor. Nachdem der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen einen Schadenersatzanspruch bei bloßer DSGVO-Verletzung und bloßem Ärger verneint sowie die Anwendung einer Erheblichkeitsschwelle verneint hat, hat nun der EuGH seine mit Spannung erwartete Entscheidung erlassen. Im Wesentlichen ist er der Ansicht des Generalanwalts gefolgt. Die DORDA Datenschutzexperten haben die Entscheidung zusammengefasst:

Verstoß gegen DSGVO führt nicht automatisch zu Schaden
Der Gerichtshof folgt im Kern der Ansicht des Generalanwalts und hält fest, dass nicht jeder bloße Verstoß gegen die DSGVO auch einen ersatzfähigen Schaden darstellt. Das liefe nämlich schon dem klaren Wortlaut des Art 82 DSGVO zuwider, der ausdrücklich sowohl einen „Verstoß“ als auch einen „Schaden“ fordert. Daher habe ein Betroffener nicht nur den datenschutzrechtlichen Verstoß des Verantwortlichen nachzuweisen, sondern zusätzlich auch (i) das Vorliegen eines tatsächlichen materiellen oder immateriellen Schadens sowie (ii) den Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Schaden. Das unterscheide die Schadenersatzklage auch von anderen Rechtsbehelfen der DSGVO wie der Verhängung von Geldbußen, die nicht auf einen Schaden abstellt, sondern Sanktionscharakter hat.

In einem Punkt weicht der EuGH aber von der Meinung des Generalanwalts ab: Um die Einheitlichkeit der Auslegung und Anwendung der DSGVO in den Mitgliedstaaten sicherzustellen, darf bei der Geltendmachung eines immateriellen Schadenersatzes – entgegen der etablierten Praxis und ständigen Rechtsprechung in Deutschland und Österreich – keine Erheblichkeitsschwelle zur Anwendung kommen. Hintergrund ist, dass der EuGH sonst abweichende Auslegungen durch die nationalen Gerichte befürchtet. Das würde die Einheitlichkeit der Schadenersatzrechtsprechung gefährden.

Kein Strafschadenersatz
Entgegen einigen bereits erfolgten Aussendungen zu dieser Entscheidung betont der EuGH aber ausdrücklich, dass das nicht bedeutet, dass ein Betroffener vom Nachweis befreit ist, dass ein DSGVO Verstoß tatsächlich zu einem feststellbaren immateriellen Schaden geführt hat. Außerdem richtet sich die Höhe des immateriellen Schadenersatzanspruches nach den nationalen Regelungen: Da die DSGVO keine Bestimmungen zum Verfahren und zu den Kriterien für die Ermittlung der Höhe des Anspruches enthält, sei hier das jeweilige nationale Recht anzuwenden. Dieses müsse einen vollständigen und wirksamen Ersatz des tatsächlich erlittenen Schadens sicherstellen. Ein „Strafschadenersatz“ sei aber nicht geschuldet.

Fazit und offene Fragen
Es ist zu begrüßen, dass sich der EuGH mit seiner Entscheidung – wie bereits der Generalanwalt – klar gegen ein überbordendes Verständnis von immateriellen Schadenersatzansprüchen ausgesprochen hat: Ohne Schaden steht einem Betroffenen auch kein Anspruch zu. Dem Gerichtshof zufolge ist der Begriff des „immateriellen Schadens“ autonom – dh unabhängig vom jeweiligen Verständnis des nationalen Rechts – auszulegen. Nähere Spezifikationen und Leitlinien zur Abgrenzung sind der Entscheidung aber leider nicht zu entnehmen. Der EuGH lehnt sodann einerseits eine Erheblichkeitsschwelle ab, andererseits akzeptiert er, dass bei der Bemessung der Höhe des Schadenersatzanspruchs zahlreiche nationalstaatlichen Kriterien und Parameter zu berücksichtigen sind. Dazu gibt er jedoch keine Abgrenzungskriterien im Sinne der angestrebten Vollharmonisierung vor. Eine unterschiedliche Gewichtung und Auslegung durch die Mitgliedstaaten ist damit vorprogrammiert. Ob die zahlreichen weiteren Vorabentscheidungsverfahren zu Schadenersatzansprüchen hier mehr Klarheit schaffen, bleibt abzuwarten.

5.5.2023, Autor:innen: Dr. Axel Anderl, LL.M., Mag. Nino Tlapak, LL.M., Dr. Corina Kruesz, LL.M. (WU), DORDA Rechtsanwälte GmbH, www.dorda.at