VIDC und Attac: “Regierungen müssen ruinösen Steuerwettlauf beenden“

Weltweit betreiben Regierungen einen ruinösen Wettlauf nach unten bei den Unternehmenssteuern. Europa spielt dabei eine führende Rolle und beschleunigt weiter das Tempo. Dies zeigt der heute von 21 europäischen Organisationen veröffentlichte Bericht „Tax Games – the Race to the Bottom: Europas Rolle bei der Unterstützung eines ungerechten globalen Steuersystems“ – in Österreich veröffentlicht vom VIDC und Attac.

Der durchschnittliche Steuersatz für Unternehmen hat sich in 15 EU-Staaten (1) seit 1980 von 49 auf rund 24 Prozent halbiert und sank weltweit im selben Zeitraum von rund 40 auf unter 25 Prozent. Hält dieser globale Trend an, werden die Unternehmenssteuersätze bis 2052 weltweit auf Null sinken. Dennoch läuft bereits die nächste Runde in diesem ruinösen Steuerwettlauf. 12 der 19 im Bericht untersuchten europäischen Länder (2) haben ihren Steuersatz für Unternehmen erst kürzlich gesenkt oder planen dies in naher Zukunft. Ungarn etwa hat seinen gerade auf neun Prozent halbiert. „Die Regierungen dürfen nicht nur Lippenbekenntnisse zu den unfairen Steuerpraktiken der Konzerne abgeben, sondern müssen den ruinösen Steuerwettlauf generell beenden“, fordert daher Martina Neuwirth vom VIDC, die das Österreich-Kapitel des Berichtes verfasste.

Österreich unter den Blockierern für mehr Transparenz
Das Dumping bei den Steuersätzen ist bekanntlich nur eine Seite der Medaille. Viele Konzerne verschieben ihre Gewinne künstlich in Steuersümpfe und maximieren so weiter den Schaden für die Allgemeinheit. Nach Schätzungen gehen den Staaten dadurch rund 500 Milliarden Dollar verloren. Dennoch sind zehn von 18 untersuchten EU-Ländern – darunter auch Österreich – dagegen, dass multinationale Konzerne öffentlich machen müssen, in welchen Ländern sie welche Gewinne verbuchen und wieviel Steuern sie zahlen.

Auch im Kampf gegen Briefkastenfirmen und intransparente Konstruktionen ist Österreich gegen öffentliche Register über wirtschaftliche EigentümerInnen. Insgesamt unterstützen nur sechs der untersuchten Länder diese wichtige Forderung.

Steuerdumping und Intransparenz sind Ursache für zunehmende Ungleichheit
Als Kompensation für die sinkenden Einnahmen aus Unternehmenssteuern steigen seit Jahrzehnten die Steuern auf Arbeit und Konsum. Vor allem Konsumsteuern belasten Menschen mit geringem Einkommen mehr. Menschen in Entwicklungsländern sind besonders stark betroffen, denn dort macht die Unternehmensbesteuerung einen wichtigen Anteil der geringen staatlichen Einnahmen aus. Entwicklungsländern entgehen auch Einnahmen durch problematische Steuerabkommen, die ihre Besteuerungsrechte einschränken. Der Bericht zeigt, dass 12 der untersuchten europäischen Länder besonders problematische Steuerabkommen mit Entwicklungsländern abgeschlossen haben. Auch sind die meisten Entwicklungsländer noch immer vom automatischen Austausch von Steuerinformationen ausgeschlossen. Sie würden ebenfalls von der Veröffentlichung von mehr Informationen profitieren.

Schwarze Liste der EU ohne die größten schwarze Schafe
Die EU plant am 5. Dezember zwar, eine „schwarze Liste von Steueroasen“ zu veröffentlichen. Doch EU-„Steueroasen“ wie Luxemburg, die Niederlande, Irland, Malta, Großbritannien oder Zypern finden sich nicht auf der Liste, kritisieren VIDC und Attac. Dabei verfügt die Hälfte der untersuchten europäischen selbst Länder über Steuerstrukturen, die multinationale Konzerne nutzen können, um Steuern zu vermeiden.

Der Bericht fordert neben Transparenzmaßnahmen auch ein globales Abkommen zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuervermeidung. Dieses sollte auf UN-Ebene verhandelt und die UNO im Steuerbereich gestärkt werden. Doch 13 der 19 Ländern sprechen sich dagegen aus und verhindern somit, dass auch die besonders stark betroffenen Entwicklungsländer eine gleichberechtigte Stimme bekommen.

(1) Die 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor der sogenannten Ost-Erweiterung: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Irland, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien.
(2) Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Irland, Italien, Lettland, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Polen, Österreich, Schweden, Slowakei, , Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich.

04.12.2017, www.attac.at

Zusammenfassung des Berichts: “Tax Games ‐ the Race to the Bottom”

Einnahmen aus der Körperschaftsteuer sind notwendiger denn je …
Regierungen weltweit haben sich zu ehrgeizigen nachhaltigen Entwicklungszielen und einem neuen globalen Klimaabkommen bekannt, aber die zur Erreichung dieser Ziele notwendige Finanzierung fehlt. Diese Diskrepanz ist am stärksten in den Entwicklungsländern zu spüren, wo Finanzquellen knapp und die Entwicklungsherausforderungen am massivsten sind. Vor diesem Hintergrund ist die Körperschaftsteuer eine absolut unverzichtbare staatliche Einnahmequelle.

… aber die Regierungen beteiligen sich am Unterbietungswettlauf
Trotz der Versprechungen, multinationale Unternehmen dazu zu bringen, ihren fairen Steueranteil zu zahlen, haben sich die Regierungen bei der Unternehmensbesteuerung in einem sehr kostspieligen und destruktiven Unterbietungswettlauf („race to the bottom“) festgefahren. Entscheidet eine Regierung, die Steuern für Unternehmen zu senken, veranlasst das andere dazu, diesem Beispiel zu folgen. Wenn der gegenwärtige Trend anhält, wird der weltweite durchschnittliche Körperschaftsteuersatz im Jahr 2052 null Prozent erreichen. Diese Prognose basiert auf der Entwicklung zwischen 1980, als der durchschnittliche Körperschaftsteuersatz bei über 40 Prozent lag, und 2015, wo dieser auf unter 25 Prozent gefallen ist.

Europa spielt in diesem Wettlauf eine führende Rolle und scheint derzeit das Tempo zu beschleunigen. Die in diesem Bericht durchgeführte Analyse der Entwicklungen in der EU und in Norwegen zeigt, dass 12 Regierungen entweder erst jüngst den Körperschaftsteuersatz gesenkt haben oder dies für die nächsten Jahre planen. Ein Extrembeispiel ist Ungarn, das seinen Körperschaftsteuersatz binnen weniger Monate um die Hälfte kürzte und dadurch Bulgarien als das EU‐Land mit dem niedrigsten Körperschaftsteuersatz unterboten hat. Indessen haben nur zwei Regierungen – Griechenland und Slowenien – beschlossen, ihre Sätze anzuheben.

Während Unternehmen geringere Steuerzahlungen verlangt werden, müssen VerbraucherInnen das Loch zu stopfen, das das dadurch entsteht. Da Verbrauchssteuern die Ärmsten unverhältnismäßig schwer treffen, hat dieser Trend zur beunruhigenden Folge, dass Steuersysteme regressiver werden und Gefahr laufen die Ungleichheit zu verschärfen, anstatt sie zu verringern.

Das internationale Steuersystem ist nach wie vor voller Schlupflöcher
Einige Regierungen rechtfertigen Steuersenkungen mit der Hypothese, dass die Einkommensverluste dank verstärkter Bemühungen zur Bekämpfung der Steuervermeidung wettgemacht werden können. Wie jedoch in diesem Bericht hervorgehoben wird, führte der bisherige politische Prozess, der die Steuervermeidung durch Unternehmen unterbinden sollte, bestenfalls zu halbherzigen Lösungen. Neue Schlupflöcher werden eingeführt, um alte zu ersetzen. Versuche, das globale Steuersystem zu vereinfachen, haben das Gegenteil bewirkt. Und durch das sogenannte BEPS‐Projekt der OECD zur Bekämpfung von steuermindernder Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung durch multinationale Unternehmen (Base Erosion and Profit Shifting ‐ BEPS) hat die Komplexität des internationalen Steuersystems eine neue Dimension erreicht.

In der Zwischenzeit umgehen Unternehmen weiterhin Steuern
Immer neue Unternehmensteuer‐Skandale erinnern daran, dass die Steuervermeidung bei Unternehmen noch immer weit verbreitet ist. Die bestmöglichen Schätzungen gehen davon aus, dass dies die Gesellschaft jedes Jahr rund 500 Milliarden US‐Dollari an entgangenen Einnahmen kostet. Einer der Hauptgründe für das Weiterbestehen dieses Problems ist die Tatsache, dass Regierungen Geheimhaltung, Steueranreize und Schlupflöcher bieten, die dies möglich machen. Europa spielt dabei eine zentrale Rolle. Wissenschaftliche Forschungii hat die wichtigsten „sink countries“ und “conduit countries“ identifiziert. Erstere sind Länder, in denen Unternehmen ohne große Steuerbelastungen ihre Profite ‚versenken‘ können. Letzteres sind Länder, durch die Unternehmensgewinne aus jenen Ländern, in denen ein multinationaler Konzern geschäftlich tätig ist, in die ‚Senken‘ geschleust werden. Die ForscherInnen fanden heraus, dass die zwei größten ‚Senken‘ und ‚Conduits‘ der Welt EU‐Mitgliedstaaten sind, nämlich Luxemburg und die Niederlande. Auch einige andere europäische Länder wie Großbritannien und Irland stehen ganz oben auf der Liste.

Entwicklungsländer werden in der globalen Entscheidungsfindung außen vor gelassen
Entwicklungsländer trifft die Steuervermeidung durch Unternehmen besonders hart, da die Unternehmensbesteuerung einen wichtigen Teil ihrer Einnahmen darstellt. Trotzdem ist es ihnen weiterhin nicht möglich, sich wirklich gleichberechtigt an der Entscheidungsfindung über internationale Steuerstandards zu beteiligen. Die OECD, auch als Klub der Reichen bekannt, spielt noch immer die Rolle des globalen Entscheidungsträgers, oft in Verbindung mit den G20. Während über 100 Entwicklungsländer bei den Verhandlungen über die jüngsten Standards ausgeschlossen wurden, sind die OECD‐Länder jetzt erpicht darauf, dass sich die Entwicklungsländer an deren Umsetzung beteiligen. Indessen fordert eine große Gruppe von Entwicklungsländern, die Probleme im globalen Steuersystem im Rahmen der Vereinten Nationen zu lösen ‐ ein Setting, in dem sich alle Länder gleichberechtigt beteiligen. Die in diesem Bericht durchgeführte Analyse zeigt jedoch, dass viele EU‐Länder immer noch darauf bestehen, die globale Entscheidungsfindung bei der OECD zu belassen.

Geheimhaltung bleibt ein Haupthindernis für Steuergerechtigkeit
Indessen sind Informationen für BürgerInnen, die wissen wollen, wie viele Steuern multinationale Konzerne zahlen, immer noch schwer zu bekommen,. Deshalb dienen Steuerskandale nach wie vor als zentrale Informationsquelle. Whistleblower, die Steuervermeidung durch Unternehmen aufdecken, müssen mit Strafverfolgung rechnen, wie der laufende LuxLeaks‐Prozess in Luxemburg zeigt.

Aufgrund des wachsenden politischen Drucks diskutiert die EU nun, ob es den BürgerInnen möglich gemacht werden soll zu sehen, wo multinationale Unternehmen Geschäfte machen und wie viele Steuern sie in jedem Land, in dem sie tätig sind, zahlen. Allerdings zeigt dieser Bericht, der die Positionen von 18 europäischen Ländern sowie des EU‐Parlaments und der Kommission abbildet, dass eine Mehrheit (darunter Österreich) noch immer gegen die Einführung einer öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung (public Country‐by‐Country Reporting) ist.

Positiv ist zu vermerken, dass erhebliche Fortschritte bei der Abschaffung anonymer Briefkastenfirmen gemacht werden, die dazu genutzt werden können, Geld zu verstecken und Steuern zu hinterziehen. Eine wachsende Zahl von Ländern verpflichtet sich, öffentliche Unternehmensregister einzuführen, in denen die echten ‐ wirtschaftlichen ‐ EigentümerInnen aufscheinen. Trotz der Enthüllungen in den Paradise Papers steckt die EU immer noch in schwierigen Verhandlungen darüber fest, ob öffentliche Register zu einem EUweiten Standard werden sollten und ob EigentümerInnen von Trusts ebenfalls öffentlich registriert werden sollten.

Während die EU damit beschäftigt ist, andere Länder als Steueroasen anzuprangern, haben europäische
Staaten noch sehr viele Hausaufgaben zu erledigen.

In diesem Bericht hat eine breite Koalition von zivilgesellschaftlichen Organisationen 18 europäische Länder untersucht und Folgendes herausgefunden:

‐ Schädliche Steuerpraktiken sind in mehreren europäischen Ländern populär, und problematische Praktiken wie Patentboxen und geheime verbindliche Steuervorbescheide (Advance Tax Rulings) haben in den letzten Jahren zugenommen. Von den 18 untersuchten Ländern erhielten fünf in Bezug auf schädliche Steuerpraktiken ein „grünes Licht“, während neun Länder ein „rotes Licht“ erhielten.

‐ Die europäischen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Entwicklungsländern sind nach wie vor überaus bedenklich. Von den 18 untersuchten Ländern unterhalten 12 Länder DBA‐Netzwerke, die höchst problematisch sind.

‐ Sechs Länder haben durch die Einführung öffentlicher Unternehmensregister, in denen die tatsächlichen – wirtschaftlichen – EigentümerInnen aufscheinen, den Kampf gegen geheime Briefkastenfirmen aufgenommen. Indessen ist in 12 der untersuchten Länder noch immer geheimes Firmeneigentum möglich, und Großbritannien bietet weiterhin Möglichkeiten zur Gründung anonymer Trusts.

‐ Die überwiegende Mehrheit ‐ zehn der untersuchten Länder – sträubt sich gegen oder lehnt die Einführung einer öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung (Country‐by‐Country Reporting) völlig ab, die es den BürgerInnenn ermöglichen würde, zu sehen, wo multinationale Unternehmen Geschäfte machen sind und wie viel sie an Steuern zahlen

‐ 13 von 18 Ländern sind offen gegen den Vorschlag, zur Lösung der Probleme im globalen Steuersystem eine zwischenstaatliche UN‐Steuerbehörde einzurichten und dabei darauf zu achten, dass die Entwicklungsländer wirklich gleichberechtigt eingebunden werden.

‐ Während die überwiegende Mehrheit der untersuchten Regierungen die stärkere Mobilisierung inländischer Ressourcen in Entwicklungsländern finanziell unterstützt, haben nur wenige analysiert, ob und wie ihre eigenen Steuersysteme und ‐maßnahmen die Steuererhebung in Entwicklungsländern fördern oder untergraben können.

Der Bericht gibt folgende Empfehlungen ab:
Regierungen und EU‐Institutionen müssen progressive Steuersysteme fördern, um der zunehmenden Ungleichheit entgegenzuwirken. Sie haben sicherzustellen, dass ihre Steuerpolitik die Gleichstellung der Geschlechter fördert und entwicklungspolitische Ziele nicht untergräbt (Kohärenz). Ebenso müssen sie den Unterbietungswettlauf („race to the bottom“) bei der Unternehmensbesteuerung stoppen, der unter anderem in der Senkung von Körperschaftsteuersätzen und der Anwendung schädlicher Steuerpraktiken, die die Steuervermeidung für Unternehmen leichter macht, besteht.

Zu diesem Zweck sollten sie:

1. Spill‐over‐Analysen aller nationalen und EU‐weiten steuerpolitischen Maßnahmen durchführen und veröffentlichen. Damit sollen die Auswirkungen auf Entwicklungsländer bewertet und politische Maßnahmen und Praktiken, die negative Auswirkungen auf Entwicklungsländer haben, beseitigt oder einer Reform unterzogen werden. Unter anderem sollten Zweckgesellschaften, Doppelbesteuerungsabkommen und Anreize für multinationale Unternehmen analysiert werden;

2. gemeinsam mit den Entwicklungsländern Vorteile, Risiken und die Durchführbarkeit grundlegenderer Alternativen zum derzeitigen internationalen Steuersystem wie z.B. eine konsolidierte einheitliche Besteuerung (unitary taxation), gründlich prüfen. Dabei sollte das Augenmerk besonders auf die möglichen Auswirkungen dieser Alternativen auf Entwicklungsländer gelegt werden;

3. den Vorschlag für eine Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer‐Bemessungsgrundlage (GKKB) auf EU‐Ebene unterstützen, der die Gewinnkonsolidierung und ‐aufteilung beinhaltet. Dabei sollten keine neuen Mechanismen eingeführt werden, die von multinationalen Unternehmen zur Steuervermeidung missbraucht werden könnten; dazu zählen auch umfangreiche Steuerermäßigungen;

4. Daten veröffentlichen, die den Investitionsfluss über Zweckgesellschaften in ihren Ländern zeigen;

5. die Ausbreitung von Patentboxen und ähnlicher schädlicher Strukturen unterbinden bzw. die bestehenden beseitigen;

6. die wesentlichen Bestandteile aller den multinationalen Unternehmen erteilten Verrechnungspreiszusagen (Advance Tax Agreements) veröffentlichen. Das bedeutet zumindest den Namen der Gesellschaft, für die sie ausgegeben wird, die Dauer der Zusage sowie die behandelten Themen. Insgesamt sollte man sich auf ein transparentes, klares und weniger komplexes System zur Besteuerung multinationaler Unternehmen hinbewegen;

7. die jährlichen Kosten und auch den Nutzen aller Steuervergünstigungen für multinationale Unternehmen veröffentlichen;

8. sicherstellen, dass SteuerberaterInnen für die Förderung und Empfehlung von Praktiken, die gegen das Gesetz verstoßen, rechtlich haftbar sind;

9. einen wirksamen Whistleblower‐Schutz für diejenigen verabschieden, die im öffentlichen Interesse handeln; das umfasst auch die Whistleblower, die legale Steuervermeidung oder Steuerhinterziehung offenlegen. Der Schutz muss für Beschäftigte des privaten wie auch des öffentlichen Sektors gelten.

10. Im Rahmen von (Nach‐)Verhandlungen von Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungsländern sollten die Regierungen:

– eine umfassende Wirkungsfolgenabschätzung auf das jeweilige Entwicklungsland erstellen und veröffentlichen sowie sicherstellen, dass negative Auswirkungen vermieden werden;
– die Rechte des Quellenlandes auf Besteuerung der Gewinne, die durch geschäftliche Aktivitäten in ihren Ländern erzielt werden, in vollem Umfang respektieren und die Senkung der Quellensteuersätze beenden;
– die vollständige Transparenz in Bezug auf alle Verhandlungsschritte sowie eine Beteiligung der Zivilgesellschaft und von ParlamentarierInnen gewährleisten.

Transparenz
Zur Sicherstellung von Rechenschaftspflicht und Steuergerechtigkeit müssen Regierungen und EU‐ Institutionen der Öffentlichkeit den Zugang zu den wichtigsten Unternehmensdaten ermöglichen. Ebenso haben sie einen umfassenden und wirksamen Informationsaustausch zwischen allen Regierungen zu gewährleisten, damit nationale Steuergesetze nicht umgangen werden können.

Zu diesem Zweck sollten sie:

11. auf einen Globalen Standard für den automatischen Informationsaustausch (Global Standard on Automatic Information Exchange) hinarbeiten, der Übergangsregelungen für jene Länder vorsieht, die derzeit aufgrund fehlender Kapazitäten nicht in der Lage sind, die Anforderungen für den gegenseitigen Austausch zu erfüllen. Diese Übergangszeit sollte es den Entwicklungsländern ermöglichen, automatisch Informationen zu erhalten, auch wenn sie möglicherweise nicht in der Lage sind, Informationen aus ihren eigenen Ländern zu übermitteln. Darüber hinaus müssen sich die Regierungen der Industrieländer nach den geltenden Standards verpflichten, mit allen Entwicklungsländern, welche die grundlegenden Datenschutzanforderungen erfüllen, automatisch Informationen auszutauschen, indem sie die erforderlichen bilateralen Austauschbeziehungen aufbauen;

12. öffentlich völlig zugängliche Register der wirtschaftlichen EigentümerInnen von Unternehmen, Trusts und ähnlichen Rechtsformen schaffen. Hierfür bietet auf EU‐Ebene die Überarbeitung der EU‐Antigeldwäsche‐Richtlinie eine große Chance. Regierungen müssen dafür sorgen, dass die Probleme, die im Zusammenhang mit geheimem Eigentum stehen und die etwa in den Panama Papers offengelegt wurden, endlich gelöst werden.

13. die umfassende länderbezogene Berichterstattung (Country‐by‐Country Reporting) für alle großen multinationalen Unternehmen beschließen und sicherstellen, dass diese Informationen, die in einem öffentlichen Register zentral verwaltet werden, in einem maschinenlesbaren offenen Datenformat öffentlich zugänglich sind. Diese Berichterstattung sollte mindestens so umfassend sein wie im Musterformular für den BEPS‐Bericht der OECDiii vorgeschlagen, und jedenfalls alle Unternehmen umfassen, welche die EU‐Definition des Begriffs „großes Unternehmen“ erfüllen.

Internationale Entscheidungsfindung
Regierungen und EU‐Institutionen müssen sich dafür einsetzen, dass alle internationalen Entscheidungen in Steuerfragen fair und transparent getroffen werden. Dies beinhaltet die Beteiligung aller Länder auf einer wirklich gleichberechtigten Grundlage und einen zwischenstaatlichen Entscheidungsprozess, der für BeobachterInnen uneingeschränkt zugänglich ist.

Zu diesem Zweck sollten sie:
14. die Einrichtung einer zwischenstaatlichen Steuerbehörde unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen unterstützen um sicherzustellen, dass die Entwicklungsländer gleichberechtigt an der globalen Reform der internationalen Steuerregeln teilnehmen können. Diese Behörde sollte zum wichtigsten Forum für die internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen und damit zusammenhängende Transparenzfragen werden. Sie sollte über eine angemessene Finanzierung verfügen und BeobachterInnen, einschließlich der Zivilgesellschaft und ParlamentarierInnen, uneingeschränkten Zugang gewähren. Eine ihrer Hauptprioritäten sollte die Aushandlung und Verabschiedung eines internationalen Übereinkommens über die steuerliche Zusammenarbeit und die damit verbundene Transparenz sein.

15. die EU‐Gruppe „Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung“ ersetzen oder grundlegend reformieren um sicherzustellen, dass EU‐Entscheidungen in internationalen Steuerfragen für die Öffentlichkeit vollständig transparent werden und dass die EntscheidungsträgerInnen gegenüber ihren BürgerInnen rechenschaftspflichtig werden.

(Alex Cobham and Petr Jansky (2017), „Global distribution of revenue loss from tax avoidance”, UNU‐WIDER, Working Paper / 2017/55, March 2017, https://www.wider.unu.edu/sites/default/files/wp2017‐55.pdf / Javier Garcia‐Bernardo, Jan Fichtner, Frank W. Takes and Eelke M. Heemskerk, „Uncovering Offshore Financial Centers: Conduits and Sinks in the Global Corporate Ownership Network”, Nature, 24 July 2017, https://www.nature.com/articles/s41598‐017‐06322‐9 / OECD (2015), „Leitlinien zur Verrechnungspreisdokumentation und länderbezogenen Berichterstattung ‐ Aktionspunkt 13: Arbeitsergebnis 2014“, http://www.oecd‐ilibrary.org/taxation/leitlinien‐zur‐verrechnungspreisdokumentation‐und‐landerbezogenen‐ berichterstattung_9789264231283‐de, S.39‐41)

04.12.2017, www.attac.at
download Original: http://www.vidc.org/fileadmin/Bibliothek/DP/Neuwirth/Tax_Games/Tax_Games_2017_full_report.pdf