Amazon dominiert Online-Einkauf in Österreich deutlich – 93 Prozent der Online-Shopper in Österreich kaufen beim US-Versandriesen

Österreichs Handelsunternehmen stehen vor weitreichenden Umwälzungen. Während der digitale Wandel Online-Händler wie Amazon und Alibaba unter die erfolgreichsten Unternehmen der Welt katapultiert hat, dominiert in Österreich nach wie vor der stationäre Handel. In keinem anderen europäischen Land ist die Dichte an Verkaufsfläche pro Kopf so hoch wie hierzulande: Mit 1,67 m2 pro Einwohner liegen heimische Händler vor Belgien (1,64 m2) und den Niederlanden (1,61 m2) in dieser Statistik auf Platz eins. Zum Vergleich: In Großbritannien kommen auf jeden Einwohner nur 1,09 m2 Verkaufsfläche. Für viele Retailer in Österreich bedeutet der starke Fokus auf Filialen eine Gefahr – rückläufige Marktanteile und geringere Renditen drohen.

Die Folge: Österreichs Handelsunternehmen müssen sich dringend an die neuen Rahmenbedingungen anpassen – und wollen das auch: Fast drei Viertel (73%) passen ihr Vertriebsmodell in den nächsten drei Jahren an. Jeder Zehnte (9%) möchte sein Unternehmen sogar vollkommen neu erfinden.

Das sind Ergebnisse des Retail Barometers Österreich, den Contrast EY, die Strategieberatungsmarke der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY Österreich, gemeinsam mit dem österreichischen Handelsverband erstellt hat. Dafür wurden 106 Entscheidungsträger von Handelsunternehmen und über 500 Konsumenten in Österreich befragt.

„Der Handel befindet sich mitten im Übergang in eine neue Welt. Bislang war es die Aufgabe von Händlern, Filialen zu bauen, Regalmeter bereitzustellen, Regale mit Produkten zu befüllen und diese Produkte mit Massenmedien zu bewerben. Der Händler der Zukunft erhebt und nutzt Informationen aus vielfältigen Quellen, um Kunden individuell über mehrere verschränkte Kanäle – Stichwort Omnichannel – mit einem bedürfnisorientierten Angebot anzusprechen“, so Martin Unger, Partner Contrast EY und Sector Leader Consumer Products & Retail bei EY Österreich.

Mag. Martin Unger, Strategy Consulting Manager bei Ernst&Young Österreich (Foto: ey.com)

„Viele Retailer müssen sich die Frage stellen, ob sie mit ihrem Geschäfts- und Vertriebsmodell die Zielgruppe der stark onlineaffinen 15- bis 30-Jährigen, die spätestens morgen ihre Kunden sein werden, überhaupt noch attraktiv sind. Der heimische Handel muss den Wandel noch stärker annehmen und sich für diese neue Welt rüsten“, ergänzt Unger.

Omnichannel-Kunden bringen höhere Umsätze
Die strategische Verknüpfung von Online-Shopping und Filiale zahlt sich schon jetzt aus: 71 Prozent der österreichischen Händler mit Omnichannel-Angebot erzielen mit Kunden, die über mehrere Kanäle einkaufen, höhere Umsätze. Jeder Fünfte (18%) macht sogar viel höhere Umsätze mit Omnichannel-Kunden. Allerdings können vier von fünf Händlern (80,7%) die Profitabilität über mehrere Kanäle momentan noch nicht messen.

„Die 250 größten Onlineshops in Österreich erwirtschaften mittlerweile 2,5 Milliarden Euro jährlich, allein im letzten Jahr sind die Umsätze um 8,6 Prozent gestiegen. Diese anhaltende Dynamik im E-Commerce führt zu einer immer stärkeren Marktkonzentration, das heißt immer weniger große Händler tei¬len sich einen immer größeren Anteil am Kuchen. So erwirtschaften die zehn größten Online-Händler Österreichs zusammen mit 1,2 Milliarden Euro fast die Hälfte des Ge¬samtumsatzes, Amazon allein kommt mit 556 Millionen Euro auf ein Viertel. Und 93 Prozent aller österreichischen Online-Shopper zwischen 15 und 60 Jahren haben bereits bei Amazon eingekauft“, so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

„Die Handelswelt wird gerade neu vermessen. In Zukunft wird der Handel vor allem von Unternehmen beherrscht werden, die mehrere Kanäle verknüpfen und dem Kunden sowohl online als auch im stationären Handel ein lückenloses Einkaufserlebnis bieten. Schon jetzt lassen sich mit Omnichannel-Kunden deutlich höhere Umsätze erzielen, in Zukunft wird dieser Trend noch erheblich stärker. Allerdings müssen dabei auch höhere Investitionen in die Rechnung einbezogen werden. Händler ohne attraktive Omnichannel-Lösung werden die nächsten drei bis fünf Jahre vielfach nicht überleben“, ergänzt Unger.

Österreichs Händler hinken bei Omnichannel-Umsetzung hinterher
Die heimischen Handelsunternehmen scheinen bereits erkannt zu haben, dass die Zukunft in der Verknüpfung von Online und Filiale liegt: 85 Prozent haben laut eigener Aussage bereits mit der Umsetzung einer Omnichannel-Strategie begonnen. Die Selbstwahrnehmung sei hier aber deutlich besser als der Status quo, so Unger: „Viele Händler unterschätzen den Umfang und das Potenzial von Omnichannel. Es reicht nicht aus, zusätzlich zu der Filiale auch eine Website zu haben. Es geht vielmehr um eine nahtlose Verknüpfung und individualisierte Interaktion von Kanälen und Kontaktpunkten entlang der Customer Journey. Hier hinken heimische Händler im internationalen Vergleich hinterher.“

Das liege auch daran, dass der Wandel in Richtung Einkauf im Web hierzulande langsamer vollzogen werde als im internationalen Vergleich, ergänzt Rainer Will: „In Österreich ist der Online-Shopping-Anteil 2017 nur rund halb so hoch gewesen wie in Großbritannien oder den USA. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis wir auch hierzulande eine erhebliche Verschiebung in Richtung Online- und vor allem auch hin zum Mobile-Shopping erleben. Spätestens dann wird Omnichannel noch stärker an Bedeutung gewinnen.“

Die größten Herausforderungen bei der Einführung von Omnichannel sind aus Sicht der befragten Handelsunternehmen das nötige Kapital (30%) sowie erhöhte Anforderungen an die Daten- und IT-Sicherheit bzw. mangelnde personelle Ressourcen (je 27%).

Digital Champions drohen Händler abzuhängen: Amazon dominiert Online-Handel klar

Kopfzerbrechen bereitet heimischen Retailern der steigende Wettbewerbsdruck durch den Siegeszug der sogenannten „Digital Champions“ wie Amazon oder Zalando. Genau die Hälfte (50%) der heimischen Händler rechnet damit, dass digitale Angreifer stark an Marktanteilen gewinnen. Mehr als ein Viertel (27%) erwartet hingegen keine wesentlichen Änderungen durch den Aufstieg von Online-Händlern. 23 Prozent gehen selbstbewusst sogar von Zugewinnen für den klassischen Handel durch die Digitalisierung aus.

Dazu Martin Unger: „Digitale Angreifer verschärfen den Wettbewerb im Handel massiv. Die neuen Mitbewerber erobern immer mehr Marktanteile in einem stagnierenden oder nur leicht wachsenden Markt. Das führt zu einem starken Verdrängungswettbewerb. Dennoch scheint die Hälfte der österreichischen Händler die Gefahr dieser neuen Mitbewerber zu übersehen. Der Wettlauf zwischen etablierten Händlern und digitalen Herausforderern hat längst begonnen – aber viele haben offenbar den Startschuss noch nicht gehört. Die alles entscheidende Frage ist: Lernen die Retailer schneller ‚digital‘ oder die Digital Champions schneller ‚retail‘? Momentan haben die Digital Champions die Nase vorne. Wer keine klare Strategie und attraktive Omnichannel-Lösungen hat, wird im Wettlauf mit Amazon, Zalando und Co auf der Strecke bleiben.“

Im Moment gibt Amazon klar den Ton im österreichischen Online-Handel an. Der US-Versandriese hat die mit Abstand stärkste Marke und wird spontan von 69 Prozent der Befragten als erste Anlaufstelle für Online-Einkauf genannt. Zum Vergleich: Die zweit- und ex aequo drittplatzierten Anbieter Zalando sowie Thalia bzw. H&M kommen gerade einmal auf vier bzw. je zwei Prozent. Diese Markenpräsenz spiegelt sich auch in der Marktstärke wider.

93 Prozent aller österreichischen Online-Shopper zwischen 15 und 60 Jahren haben bereits bei Amazon eingekauft. Dahinter folgen mit Abstand Ebay (48%), Thalia (42%), Tchibo/Eduscho (41%) und Zalando (40%).

Die einzigen österreichischen Unternehmen in den Top-15 der Online-Händler folgen mit BILLA (8%) und Spar (7%) auf den Plätzen 12 und 13.

„‚I’m from Austria‘ ist für Online-Shopper kein relevantes Auswahlkriterium. Nur jeder Siebte bevorzugt österreichische Online-Shops. Für die überwiegende Mehrheit sind bei ihrer Online-Shopping-Tour hingegen nur die Angebote ausschlaggebend“, so Unger.

Einkaufsverhalten der Österreicher wird immer stärker über das Web gesteuert
Obwohl die Umsätze im heimischen Online-Handel im internationalen Vergleich nur einen geringen Anteil am gesamten Kuchen ausmachen, zeigt sich auch hierzulande ein klarer Trend in Richtung Online-Shopping: Bereits 4,3 Millionen Österreicher (80%) zwischen 15 und 60 Jahren kaufen regelmäßig – also zumindest ein Mal pro Quartal – online ein. Mehr als jeder Zweite (57%) erledigt seine Einkäufe sogar zumindest monatlich bei Online-Händlern.

Als wichtigste Gründe für den Online-Einkauf nennen die Österreicher die gezielte Suche nach Produkten bzw. die Unabhängigkeit von Öffnungszeiten (je 55% „sehr wichtig“) sowie höheren Komfort (49%) und größere Auswahl (47%). Die vermeintlich größeren Preisrabatte bei Online-Händlern rangieren nur auf Platz fünf (40%).

Das Einkaufsverhalten der Österreicher spielt sich fast zu gleichen Teilen in beiden Welten ab: 59 Prozent informieren sich häufig oder überwiegend im Internet und kaufen auch online. 58 Prozent – und damit fast gleich viele – bewegen sich sowohl bei der Suche als auch beim Einkauf häufig oder überwiegend offline in Geschäften. Der „Beratungsdiebstahl“, also die Information in der Filiale mit darauffolgendem Kauf im Internet, wird hingegen oft überschätzt: Nur 15 Prozent der Kunden wenden diese Praktik regelmäßig an, während sich umgekehrt 51 Prozent online informieren, um ihr Geld dann im Geschäft auszugeben.

„Der notwendige Fokus auf den Ausbau des Online-Angebots bedeutet keineswegs, dass die klassische Filiale ein Auslaufmodell ist. Im Gegenteil, international sehen wir aktuell insbesondere bei den E-Commerce-Marktführern einen neuen Trend zur Fläche. Allein Alibaba hat seit 2015 mehr als 9,3 Milliarden Dollar in Ladengeschäfte wie Intime oder Sun Art investiert. Amazon wiederum hat im letzten Jahr mit der Übernahme der weltgrößten Bio-Supermarktkette Whole Foods für 13,7 Milliarden Dollar für Aufsehen gesorgt. Der stationäre Handel wird also nicht ersetzt, sondern ergänzt. Für den künftigen Erfolg von Händlern sind vor allem zwei Faktoren entscheidend: die strategische Verknüpfung aller Kanäle und ein attraktives, möglichst personalisiertes Einkaufserlebnis“, ist Rainer Will überzeugt.

Österreichs Händler müssen Daten besser nutzen
Vor dem Hintergrund eines personalisierten und individualisierten Einkaufserlebnisses für Kunden spielt die gezielte Erhebung und Nutzung von Daten eine immer wichtigere Rolle. Demensprechend sehen 67 Prozent der heimischen Händler die Nutzung von Daten als (sehr) wichtig für den Geschäftserfolg. Bei der Datenkompetenz ortet ein Großteil jedoch noch Verbesserungsbedarf: 56 Prozent sind nicht überzeugt, dass diese momentan in ihrem Unternehmen ausreichend vorhanden ist. Für österreichische Konsumenten bleibt die Datenweitergabe ein zwiespältiges Thema: 54 Prozent würden ihre persönlichen Daten hergeben, um einen Vorteil daraus zu ziehen. 46 Prozent lehnen die Weitergabe hingegen kategorisch ab.

„Daten sind das neue Gold. Wer seine Kunden nicht kennt, wird sie verlieren. Im Wettstreit um die Gunst der Konsumenten ist es essenziell, Daten erheben und nutzen zu können. Das ist die Grundlage für personalisierte Angebote, die das Interesse des Kunden finden und seine Bedürfnisse befriedigen. Deshalb sind attraktive Kundenbindungsprogramme oder -clubs auch ein wesentliches Element der Ansprache von und Interaktion mit Konsumenten. Heute gilt mehr als je zuvor: Der Kunde ist König – egal in welchem Kanal“, so Unger abschließend.

19.1.2018, www.ey.com