An 71 Prozent der Finanzierungsrunden waren österreichische Investor:innen beteiligt – fast die Hälfte wurde rein von heimischen Geldgeber:innen getragen.Bei großen Finanzierungsrunden spielen heimische Investor:innen aber keine Rolle: 90 Prozent des Risikokapitals kommen von ausländischen Geldgeber:innen. (Bild: geralt / pixabay.vom)

2021 ist bereits jetzt ein Rekordjahr für Start-ups in Europa und auch in Österreich: Alleine im ersten Halbjahr erhielten heimische Jungunternehmen mit Hauptsitz in Österreich in 64 Finanzierungsrunden Kapitalspritzen in Höhe von 518 Millionen Euro – fast doppelt so viel wie im gesamten bisherigen Rekordjahr 2020. Dominiert wird diese Entwicklung von einigen wenigen Unternehmen, die große Runden abschließen konnten – allen voran die beiden Unicorns GoStudent und Bitpanda, die gemeinsam vier Fünftel der Gesamtsumme lukrieren konnten.

An knapp drei Viertel (71 %) der Finanzierungsrunden, bei denen Angaben zu den beteiligten Investorengruppen veröffentlicht wurden, waren österreichische Geldgeber:innen beteiligt – fast die Hälfte (44 %) wurde sogar rein von heimischen Investor:innen getragen. Dennoch stammen 90 Prozent der Gesamtfinanzierungssumme von rein international besetzten Investorengruppen.

Das sind die Ergebnisse des Start-up Investment Barometer der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY in Zusammenarbeit mit der Austrian Angel Investors Association (AAIA) und der Austrian Private Equity and Venture Capital Organisation (AVCO). Berücksichtigt wurden veröffentlichte Finanzierungsrunden in Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt.

„Der Start-up-Boom mit wöchentlichen Erfolgsmeldungen zu großen Investitionsrunden ist ein starkes Signal des österreichischen Start-up-Ökosystems und spiegelt die positive Entwicklung der letzten Jahre wider. Die Euphorie darf aber nicht kaschieren, dass in Österreich nach wie vor kaum Risikokapital vorhanden ist, was ausländische Investor:innen mit gut gefüllten Kassen auf den Plan ruft. Österreichische Start-ups stehen auf ihrem Wachstumskurs früher oder später vor der Situation, dass sie das für ihre Skalierung und Internationalisierung benötigte Kapital nur jenseits der Landesgrenzen lukrieren können. Gerade bei Finanzierungsrunden ab dem zweistelligen Millionenbereich ist die Abhängigkeit von Geldgeber:innen aus Übersee groß, da es in Österreich de facto keine Wachstumsfinanzierer:innen gibt. Aktuell gilt: Je größer die Runde, desto weniger Österreich“, kommentiert Florian Haas, Leiter des Start-up-Ökosystems bei EY Österreich, die Ergebnisse.

Österreichische Investor:innen geben Starthilfe, ausländische Geldgeber:innen finanzieren Wachstum
Bei frühphasigen Investmentrunden sind dementsprechend auch klar heimische Investorengruppen führend: In Pre Seed- (70 %) und Seed-Finanzierungsrunden (56 %), bei denen Angaben zu Investor:innen und der Art der Finanzierungsrunde bekannt sind, stellten sie jeweils die Mehrheit der Kapitalgeber:innen. Das ändert sich, sobald es von der Anschub- zur Wachstumsfinanzierung geht: Liegt der Anteil österreichischer Geldgeber:innen bei Series-A-Finanzierungsrunden noch zumindest bei 31 Prozent, war an den Series-B- bzw. Series-C-Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr 2021 kein:e einzige:r Inlandsinvestor:in beteiligt. Von den insgesamt 15 daran beteiligten Investorengruppen haben sieben ihren Hauptsitz in den USA und vier ihren Hauptsitz in Großbritannien. Die sechs größten Finanzierungsrunden des Jahres gingen gänzlich ohne österreichische Beteiligung auf Investorenseite über die Bühne.

„Während die Anschubfinanzierung in Österreich insbesondere über Business Angels hervorragend funktioniert, stehen heimische Investor:innen bei großen Finanzierungsrunden nur an der Seitenlinie, während vor allem US-amerikanische Venture Capital Fonds das Spiel gestalten und sich auf ihrer europäischen Shopping-Tour in Österreichs Top-Start-ups einkaufen. Nur eine nachhaltige Stärkung des heimischen Kapitalmarkts und dringend notwendige Anreize für Risikokapital-Investitionen von Privatpersonen und institutionellen Investor:innen können langfristig die Abwanderung von intellektuellem Kapital und den Verlust von Arbeitsplätzen verhindern. Ansätze dafür wären die Errichtung eines Dachfonds – wie im Regierungsprogramm verankert –, die Einführung eines Beteiligungsfreibetrags oder die Vereinfachung der Verlustverrechnung. Damit könnte die aufgrund des Niedrigzinsumfelds anhaltende Lust auf alternative Investments bedient und gleichzeitig die Eigenkapitalausstattung heimischer Start-ups verbessert werden“, so Haas.

„Durch eine gut ausgeprägte Frühphasenfinanzierung, welche auf Förderungen, Angel Investments und VC Fonds basiert, ist es in den letzten Jahren gelungen innovative, skalierbare und international anerkannte österreichische Startups aufzubauen. Speziell Angel Investoren, welche junge Unternehmen mit Know-how, ihrem Netzwerk und privaten Kapital unterstützen, leisten hier einen essentiellen Beitrag“, kommentiert Laura Egg, Managing Director der Austrian Angel Investors Association (AAIA).

„Solange allerdings die Wachstumsfinanzierung fast ausschließlich über ausländische Investoren abgedeckt wird, fließen auch bei einem Exit der Großteil der Gewinne nicht zurück nach Österreich und können nicht hier reinvestiert werden. Das notwendige Kapital wäre reichlich vorhanden und wird aktuell von österreichischen Kleinanlegern und institutionellen Investoren wie Banken, Versicherungen, Stiftungen, und Pensionskassen gebunkert. Zusätzlich zu notwendigen Anreizen ist ein gesellschaftliches Umdenken notwendig, um Investments in Innovation und somit Österreichs Zukunft einen höheren Stellenwert zuzuschreiben“, so Egg.

Nina Wöss, Vorstandsvorsitzende der Austrian Private Equity and Venture Capital Organisation (AVCO), ergänzt: „Das EY Start-up Investment Barometer zeigt einmal mehr, dass in Österreich in punkto Wagniskapital ein großer Aufholbedarf besteht. Wollen wir die heimischen Leitbetriebe von morgen aufbauen und nachhaltig Arbeitsplätze in Österreich sichern, so ist eine Stärkung des vorbörslichen Kapitalmarkts essentiell. Institutionelle Investoren wie Pensionskassen, Versicherungen und Banken spielen hier eine tragende Rolle. Was es dafür braucht ist ein Dachfonds, sowie die Schaffung von attraktiven rechtlichen Rahmenbedingungen für Fonds-Manager:innen.“

Unter den Investor:innen der fünf größten Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr 2021 dominieren Kapitalgeber:innen aus dem angelsächsischen Raum, gefolgt von Investor:innen aus dem asiatischen Raum. Lediglich einer der an den Top-5-Finanzierungsrunden – je zwei Mal für GoStudent und Bitpanda sowie Tractive – beteiligten Investor:innen hat seinen Firmensitz in Europa. An den Top 6-Finanzierungsrunden ist kein:e einzige:r Inlandsinvestor:in beteiligt. Österreichische Kapitalgeber:innen erscheinen erst bei der siebt- und achtgrößten Finanzierungsrunde für Storyblok bzw. Allcyte.

Mehr als die Hälfte der Start-up-Investor:innen kommt aus Österreich
Immerhin 71 der an den Finanzierungsrunden mit veröffentlichten Angaben im 1. Halbjahr 2021 insgesamt beteiligten 127 Investor:innen – also 56 Prozent – haben ihren Hauptsitz in Österreich. An zweithäufigsten waren Investor:innen mit Hauptsitz in Deutschland vertreten (15), auf Rang drei folgen Investor:innen mit Hauptsitz in Großbritannien (13). Erst auf dem vierten Platz folgen Investor:innen aus den USA (10), die jedoch bei allen Top-5-Finanzierungsrunden federführend beteiligt waren. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern spielen Geldgeber:innen aus Asien hierzulande kaum eine Rolle.

Dementsprechend kommen die aktivsten Investor:innen im 1. Halbjahr 2021 auch aus Österreich: Der auf akademische Ausgründungen spezialisierte Venture Capital Fonds IST cube beteiligte sich an vier Runden, der aws Gründerfonds war drei Mal als Investor tätig. Einige weitere Investorengruppen beteiligten sich an zwei Finanzierungsrunden.

Österreichische Geldgeber:innen investieren in E-Commerce und Mobility
Am größten war der Anteil an heimischen Investorengruppen bei Finanzierungsrunden im 1. Halbjahr 2021 im Bereich E-Commerce, wo immerhin 45 Prozent der hier bei den fünf Finanzierungsrunden beteiligten namentlich bekannten Investor:innen aus Österreich stammen. Überdies waren an vier der hier verzeichneten fünf Finanzierungsrunden Inlandsinvestor:innen beteiligt. Im Bereich Mobility liegt der Anteil der Inlandsinvestor:innen bei 40 Prozent und an drei der fünf registrierten Finanzierungsrunden waren österreichische Geldgeber:innen beteiligt. Am niedrigsten ist der Anteil der Inlandsinvestor:innen im Bildungsbereich: Hier hat nur knapp jede:r vierte beteiligte Investor:in (23,8 %) den Firmensitz in Österreich und nur an zwei der registrierten vier Deals waren Inlandsinvestor:innen beteiligt.

26.8.2021 / Autor: Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H. / www.ey.com/at