Industrie präsentiert Manifest „Europa 2030“
Die geopolitische Lage sei in den vergangenen 70 Jahren noch nie so instabil gewesen wie heute, betonte Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung, am 9. Mai anlässlich der Präsentation des IV-Positionspapiers „Europa 2030“.
Dabei stünde das europäische sozialliberale Modell im Wettbewerb mit einem neoliberalen System in Nordamerika und einem staatlich gelenkten, wenig demokratischen System in China. „Unsere Chance ist eine vereinte Pluralität. Nur ein geeintes Europa, das stark integriert sowie geistig und gesellschaftspolitisch offen ist sowie nach innen und nach außen einheitlich handelt, wird den Menschen Frieden und Wohlstand bringen können“, so Kapsch. „Im Schrebergarten lebt es sich nur gut, so lange wir Wohlstand haben. Ohne grenzüberschreitenden Handel und multilaterale Migration werden wir diesen nicht stärken können.“
Den Standort stärken
Grundlage für Wohlstand und Friede in der Gesellschaft sei die Industrie. „Der produzierende Bereich steht für rund 62 Mio. Arbeitsplätze und 66 Prozent der gesamten F&E-Aktivitäten in Europa“, so Kapsch.
Diese Basis müsse erhalten bleiben, wofür Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sichergestellt und „unser ökosoziales Modell nicht infrage gestellt werden“ dürfe. Dafür müsse sich Europa stärker auf die Industriepolitik fokussieren. „Um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu stärken, brauchen wir vor allem eine smarte Regulierung und nicht – wie jetzt – zu viel Reglementierung“, plädiert Kapsch zudem bei den F&E-Aktivitäten für mehr Mittel und eine verstärkte Kooperation zwischen öffentlichem und privaten Bereich. Außerdem fordert der IV-Präsident faire Rahmenbedingungen im internationalen Handel. „Freihandel hat immer zu mehr Wohlstand geführt, wenn er fair geregelt ist.“
Die hohen Sozial-, Umwelt- und Beihilfestandards in Europa, „die wir auch brauchen“, müssten im Handel mit anderen Regionen stärker berücksichtigt werden.
Mehr Handlungsfähigkeit
Zur anstehenden EU-Wahl meint der IV-Präsident, dass die Zustimmung zur EU in der Bevölkerung stärker geworden sei, was u.a. auf den Brexit zurückzuführen sei. Dennoch seien immer noch 21% für einen EU-Austritt unseres Landes. „Dabei wären diese Menschen in diesem Fall vermutlich die ersten Verlierer, aber das ist ihnen nicht bewusst“, fordert Kapsch, dass die EU-Befürworter künftig besser mobilisieren und die Vorteile und Stärken der EU besser ins Zentrum rücken sollten.
Dafür müsse die EU aber auch handlungsfähiger werden. So unterstützt die Industrie die aktuellen Forderungen von Bundeskanzler Kurz, wonach die EU-Kommission verringert und das Einstimmigkeitsprinzip neu geregelt werden sollte.
Die Forderungen der Industrie
• Interne Handlungsfähigkeit verbessern: Dafür sollte das Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen nur noch in besonders sensiblen Bereichen, wie etwa in der Steuer- und Sozialpolitik, gelten. Alles andere sollte mittels qualifizierter Mehrheit entschieden werden. Die EU-Kommission sollte auf zwei Drittel der Mitgliedsstaaten verkleinert werden.
• Europäische Handelspolitik schlagkräftig gestalten: Mit den USA und China sollten faire Wirtschafts- bzw. Investitionsabkommen abgeschlossen werden, ebenso mit anderen aufstrebenden Weltregionen u.a. in Asien und Afrika. Auch die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) müssen modernen Anforderungen angepasst und von allen Seiten strikt eingehalten werden.
• Außen- und Sicherheitspolitik strategisch stärken: Der Aufbau einer europäischen Armee und eine verbesserte Koordination der Rüstungsindustrie ist für eine schnelle Krisenbewältigung entscheidend. Die europäische Diplomatie bleibt aber das wertvollste Werkzeug der EU-Außenpolitik und internationalen Konfliktlösung.
• Binnenmarkt barrierefrei ausbauen und vertiefen: Die Industrie fordert u.a. einen EU-weiten Investitionsschutzmechanismus, um bestehende innereuropäische Investitionen zu stützen und zusätzliche zu fördern. Das schafft neue Arbeitsplätze.
• Eine aktive Industriepolitik umsetzen: Eine moderne Industriepolitik muss die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie ins Zentrum rücken – gleichrangig mit den Zielen Umwelt- und Verbraucherschutz. Dazu braucht es eine europäische Industriestrategie 2030 und mehr Investitionen in Forschung und Innovation. Konkrete Fortschritte sollten jährlich überprüft und in einem Bericht veröffentlicht werden (z.B. Steigerungen der Investitionen bzw. Erhöhung der Arbeitsplätze in der Industrie).
• Europäische Wirtschafts- und Währungsunion weiterentwickeln: Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) sollte zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) weiterentwickelt werden, um künftigen Wirtschaftskrisen besser begegnen zu können. Ein solcher Währungsfonds könnte auch die nationalen Haushalte der EU-Mitglieder und die Einhaltung der gemeinsamen Regeln überwachen.
• Europäische Technologieführerschaft anstreben: Unter den Top100-Technologie-Unternehmen sind nur zwölf, die ihren Sitz innerhalb der Union haben. Europa muss daher private und öffentliche Investitionen fördern und die Bereitstellung von Finanzmitteln für neue Technologien vorantreiben.
• Energie- und Klimapolitik umsetzen und global ausrichten: Um beim Klimaschutz wirklich etwas bewegen zu können, braucht es weltweite Lösungen, die Europa mit vorantreiben muss. Außerdem müssen Investitionen in Energieforschung, die Entwicklung von Speichertechnologien und der Ausbau moderner Energieinfrastruktur gesteigert werden.
• Einen dynamischen Arbeitsmarkt schaffen: Eine europäische Qualifizierungsoffensive in allen Altersgruppen soll den Fachkräftemangel lindern. Um diesen nachhaltig zu bekämpfen, muss die EU außerdem die technisch-naturwissenschaftliche Frühförderung im Bildungssystem vorantreiben und zusätzlich Fachkräften aus Drittstaaten attraktive Bedingungen bieten.
18.05.2019, Autor: Paul C. Jezek, paul.jezek@lex-press.at