Interview. F&E als „Geheimnis“ des Wienerberger-Erfolgs
Im Gespräch mit Paul Christian Jezek geht es Wienerberger-CEO Heimo Scheuch um die Zukunft des Unternehmens.
Herr Scheuch, eines Ihrer Ziele für 2020 ist die Steigerung des Konzern-Umsatzes auf 4 Mrd. €. Zukäufe leisten einen Beitrag zur Zielerreichung. Welche Strategien verfolgen Sie hier noch?
Heimo Scheuch: Neben Akquisitionen fokussieren wir uns auf organisches Wachstum durch Kundennähe, lokale Marktkenntnis und Innovationskraft. Forschung und Entwicklung (F&E) zählen zu unseren strategischen Schwerpunkten und haben einen zentralen Stellenwert im Unternehmen. Hier erkenne ich in der Baustoffbranche insgesamt einen positiven Wandel. Trends wie energieeffizientes Bauen oder Digitalisierung haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass sie hoch innovativ geworden ist.
Auch Wienerberger und vor allem unsere Unternehmenskultur haben sich stark weiterentwickelt. Im Jahr 2016 lag unser F&E-Aufwand bei 14,9 Mio. €, was einem Anteil am Umsatz von 0,5% entspricht. Im gleichen Zeitraum betrug der Anteil innovativer Produkte und Systemlösungen am Gesamtumsatz von Wienerberger rund 27%. Ich bin stolz auf unsere Entwicklung der letzten Jahre. Wir sehen hier auch weiter großes Potential, das wir nutzen werden, um mit zukunftsweisenden Lösungen das Bauen und die Infrastruktur von morgen zu gestalten.
„Gebrannte Erde“ gab es doch aber schon vor Jahrhunderten. Was unterscheidet denn ein modernes Wienerberger-Produkt von einem alten Ziegel?
Vieles! Wir haben den Ziegel zu einem hoch technologischen Produkt weiterentwickelt, gleichzeitig seine ureigenen und nachhaltigen Eigenschaften erhalten. Oft werden Gebäude – vor allem in Österreich – mit einer künstlichen, nicht nachhaltigen Dämmung eingehüllt. Bei unserem Top-Produkt ist der Dämmstoff bereits in den Ziegel integriert. Das ermöglicht es der Wand, zu ‚atmen‘ und bietet den Bewohnern eine angenehme Wohnatmosphäre.
Dieser Verfüllziegel eignet sich besonders für den mehrgeschossigen Wohnbau, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben. Er spart Energie, schützt vor Lärm, sorgt für ein gesundes Raumklima und ist schnell zu verarbeiten. Dieses Produkt erfüllt alle Anforderungen, die wir heute an den modernen Wohnbau stellen.
Unser erklärtes Ziel der letzten Jahre, mit innovativen Produkten und Konzepten stärker in den urbanen Wohnraum und in den Renovierungsbereich zu gehen, trägt Früchte.
Wie sieht Innovation bei Wienerberger aus?
Als internationaler Innovationsführer im Bereich Bauen und Infrastruktur antworten wir auf aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, Urbanisierung oder demografischer Wandel und können unseren Kunden gesamthafte Lösungen anbieten, nicht ‚nur‘ reine Produktinnovationen. Ein schönes Beispiel für eine nachhaltige Gestaltung im urbanen Wohnbau kommt etwa aus Belgien. Dort haben wir gemeinsam mit Entwicklern, Architekten und Stadtplanern Reihenhäuser gestaltet, bei denen die Gebäudehülle energetisch effizient ist, erneuerbare Energien zum Einsatz kommen und für das Regenwasser Wasserneutralität erreicht wird. Damit so viel Wasser wie möglich aufgefangen wird, verfügt jedes Haus über Schrägdächer mit Keramikziegeln und einen Regenwassertank, der mit den Toiletten, einer Wartungsarmatur und einem Zulauf für die Waschmaschine verbunden ist. Auch im Gartenbereich wird das Wasser wiederbenutzt.
Oder das Clusterhaus A in Zürich mit Produkten aus dem Hause Wienerberger, wo ein neues Konzept des Zusammenlebens für Jung und Alt präsentiert wird; eine spezielle Besonderheit ist dabei die Platzaufteilung mit einer Kombination aus Gemeinschaftsräumen und privaten Rückzugsmöglichkeiten in Form von Miniwohnungen mit zwei Zimmern, Teeküche und einem kleinen Bad. Dieses flexible Konzept wird sehr gut angenommen.
Auch im Bereich der Renovierung fassen wir immer stärker Fuß – von der energetischen Sanierung der Fassade über die Revitalisierung ganzer Stadtteile mit einer Balance aus Renovierung, Abriss und Neubau bis zur Sanierung des Dachbereichs.
Und welche Wienerberger-Trends gibt es in der Infrastruktur?
Auch im Rohrbereich können wir durch Innovation punkten: In Lübeck (Deutschland) haben wir z.B. ein Kanalisations-Projekt aus Steinzeugrohren realisiert, bei dem das Microtunneling-Verfahren zum Einsatz kommt. In acht Metern Tiefe werden hier Rohre unterirdisch mittels Vortrieb verlegt, ohne dass zuvor Erdreich aufgegraben werden muss. Dieses Verfahren entlastet Anrainer und Erdoberfläche gleichermaßen. Zusätzlich nutzen 200 Wohnungen in Lübeck die Abwasserwärme zum Heizen – dank integrierten Wärmetauschern in den Abwasserrohren. Mit dieser innovativen Lösung haben die Planer Weitblick bewiesen.
Unsere Rohrprodukte kommen auch in Versorgungsnetzen zum Einsatz, z.B. bei unterirdischen Kabelschutzrohren unserer Tochtergesellschaft Pipelife. Im urbanen Bereich sind auch ökologische Pflastersteinsysteme unserer Tochter Semmelrock mit breiter wasserdurchlässiger Fuge und der Eigenschaft, Wasser leicht versickern zu lassen, sehr gefragt.
Wie verändert die Digitalisierung Baubranche und Industrie?
Die Digitalisierung umfasst bei uns die gesamte Wertschöpfungskette – von der Kaufentscheidung bis hin zur Rechnungslegung –, und das sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich. In der Produktion setzen wir mit Initiativen zu Industrie 4.0 richtungsweisende Impulse für die Baustoffbranche, von der Automatisierung bis hin zum 3D-Druck.
Wir nutzen die Digitalisierung als Chance, unsere Kunden und Partner besser und direkter zu erreichen und gleichzeitig Abläufe noch effizienter zu gestalten. Die Automatisierung von Prozessen sowie die vernetzte Gebäudeplanung werden in Zukunft noch stärker an Bedeutung gewinnen.
Hier setzt Wienerberger beispielsweise mit Building Information Modelling (kurz BIM) im Rahmen eines Pilotprojekts in Großbritannien Maßstäbe für die zukünftige Planung von Bauprojekten.
Können Sie uns das näher erklären?
BIM ist ein kollaborativer Prozess, der über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes Mehrwert schaffen kann. Im Zentrum stehen 3D-Modelle, die online erstellt, zusammengeführt und ausgetauscht werden. Alle Beteiligten – vom Architekten bis zum Bauherrn – greifen dabei auf die gleiche Datenbasis zu; sie sind in der Lage, die gewünschten Leistungsmerkmale digital zu definieren, zu teilen und zu analysieren. Anhand von Simulationen lassen sich die Auswirkungen von Planungsentscheidungen im Projekt sofort bewerten. Die Vorteile liegen auf der Hand: einfachere Koordination, präzisere Abläufe, lückenlose Dokumentation, punktgenaue Kostenschätzungen und ein rascher Projektabschluss. Das ist die Zukunft der Gebäudeplanung!
Welche Rolle spielen umweltfreundliche und nachhaltige Baumaterialien generell bei Wienerberger?
Die Welt steht vor einer Vielzahl großer Herausforderungen. Als Technologie- und Innovationsführer in der Baubranche ist es Wienerberger Anliegen und Verpflichtung, einen Beitrag zur positiven Bewältigung der aktuellen, weltweiten Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenverknappung, menschenwürdige Arbeit, Urbanisierung oder demografischer Wandel zu leisten. Wesentlich ist hier für Wienerberger, die richtigen Fragen zu stellen – und die entsprechenden Antworten zu geben: mit unseren ‚Smart Solutions‘ für das Bauen und die Infrastruktur von morgen. Wir verfolgen daher einen integrierten Managementansatz, denn für Wienerberger stehen definitiv nicht ‚nur‘ ökonomische Gesichtspunkte im Vordergrund, sondern auch soziale und ökologische.
Unsere Mission ist, mit unseren nachhaltigen und herausragenden Baustoff- und Infrastrukturlösungen die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Daher spielen nachhaltige und umweltfreundliche Baumaterialien eine sehr zentrale Rolle!
4.1.2018, Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at
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