Klimaklagen vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof
Von „Klimaklagen“ war in den letzten Jahren in den Medien immer häufiger die Rede. Rechtlich werden darunter aber ganz verschiedene Arten von Klagen verstanden: Klagen gegen Unternehmen, damit diese für ihr klimaschädliches Verhalten sanktioniert werden; oder Klagen gegen einen Staat mit dem Ziel, diesen zu strengeren Klimaschutzmaßnahmen anzuhalten. Gemein ist all diesen Klagen, dass sie auf den Schutz der Lebensgrundlagen künftiger Generationen abzielen. Unternehmen stellen diese „Klimaklagen“ – insbesondere unter dem Blickwinkel der Planbarkeit und Verhältnismäßigkeit – der geforderten Maßnahmen vor große Herausforderungen. Mittlerweile sind die „Klimaklagen“ auch beim österreichischen Verfassungsgerichtshof angekommen, der diese aber – unbeeindruckt vom herrschenden Zeitgeist – in seinen unlängst ergangenen Entscheidungen „abschmetterte“ (zurückwies). Warum entschied der Verfassungsgerichtshof so und wie ist es um die Erfolgsaussichten von „Klimaklagen“ in Österreich bestellt?
Bisherige „Klimaklagen“ vor dem Verfassungsgerichtshof
Die – bisher überschaubaren – „Klimaklagen“ waren sogenannte Individualanträge vor dem Verfassungsgerichtshof (Art 140 Abs 1 lit c B-VG). Das sind Anträge auf Gesetzesprüfung, bei denen eine Person behauptet, durch dieses Gesetz unmittelbar in ihren Rechten verletzt worden zu sein, ohne dass das Gesetz durch Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder durch Erlassen eines Bescheids für diese Person wirksam geworden war.
Individualanträge gegen das Klimaschutzgesetz
Im Klimaschutzgesetzes („KSG“ – § 3 KSG) wird eine allgemeine Verhandlungspflicht zur Schaffung von Maßnahmen mit dem Ziel festgelegt, um unions- und völkerrechtlich vorgegebene Treibhausemmissionsziele einhalten zu können. In zwei verschiedenen Verfahren wurde § 3 KSG je mittels Individualantrag bekämpft, in denen verschiedene, teils spannende Argumente angeführt wurden:
So wurde argumentiert, dass § 3 KSG keine Sanktionen für den Fall des Nichteinhaltens der Verhandlungspflicht enthielte, die Bestimmung also zahnlos und damit völlig ungeeignet zur Durchsetzung des Klimaschutzes wäre, weil so keine Konsequenzen für das Verfehlen völkerrechtlich eingegangener Klimaziele bestünden. Dadurch sahen sich die Antragsteller in verschiedenen Grundrechten verletzt, wie etwa Art 2 – Recht auf Leben – und diverse Freiheitsrechte iSd Art 8 Europäische Menschenrechtkonvention, den Gleichheitsgrundsatz gem Art 7 B-VG bzw Art 2 Staatsgrundgesetz und Art 1 BVG Kinderrechte.
Der „Plot Twist“ an dieser Stelle ist, dass sich der Verfassungsgerichtshof auf inhaltlicher Ebene in beiden Verfahren nicht mit der behaupteten Verfassungswidrigkeit auseinandersetzen musste, weil beide Anträge aufgrund formeller Mängel mittels Beschluss zurückgewiesen wurden,
- da der Antragsteller in seinem Individualantrag nicht nachwies, inwieweit er konkret unmittelbar durch das Klimaschutzgesetz in seinen Rechten verletzt worden war, sondern bloß argumentierte, dass der Klimaschutz durch die bekämpfte Regelung in die Zukunft verschoben würde und er durch die zukünftig erfolgenden, drastischeren Maßnahmen gravierende Eingriffe in Grundrechte im Sinne des Art 8 EMRK zu befürchten hätte (VfGH 27.6.2023, G 139/2021-11).
- Im anderen Verfahren erfolgte die Zurückweisung mit der Begründung, dass der Antragssteller einen zu engen Anfechtungsumfang gewählt hätte. Dies bedeutet, dass auch bei Aufhebung der angefochtenen Wortfolgen des § 3 KSG die vermeintliche Verfassungswidrigkeit (mit der sich der VfGH materiell ja eben nicht befasst hat) bestehen bleiben würde (VfGH 27.6.2023, G 123/2023-12).
Eine inhaltliche Klärung der höchst brisanten Frage des Verhältnisses von Klimaschutzbestimmungen und allfälliger Grundrechtsverletzungen erfolgte daher in beiden Fällen nicht. Dass der Verfassungsgerichtshof – im ersten Fall – die rechtliche Betroffenheit, eine allgemein geltende Antragsvoraussetzung bei Individualanträgen, nicht „aufweichte“ und die Antragslegitimation verneinte, lässt aber den Schluss zu, dass der Verfassungsgerichtshof – auch bei „Klimaklagen“ – nicht bereit ist, seine strenge Rechtsprechung zur Zulässigkeit bei Individualanträgen zu lockern.
Individualanträge aufgrund der steuerlichen Begünstigungen der Luftfahrt
Ebenfalls an den Hürden der Antragslegitimation bei Individualanträgen scheiterten schon im September 2020 8.063 Personen, die sich im Rahmen der „ersten Klimaklage Österreichs“ gegen die steuerliche Begünstigung von Luftverkehrsunternehmen wandten und die Aufhebung bestimmter Wortfolgen im Umsatzsteuergesetz und Mineralölsteuergesetz sowie die Aufhebung der Luftfahrtbegünstigungsverordnung in ihrer Gesamtheit begehrten. Auch schon hier sah der Verfassungsgerichtshof die Antragslegitimation mangels unmittelbarer Betroffenheit als nicht gegeben an, weil sich die steuerlichen Begünstigungen an Unternehmen richteten und nicht an die Antragsteller (VfGH 30.9.2020, G 144-145/2020/13). Ein kürzlich erfolgter „erneuter“ Anlauf zur Bekämpfung der steuerlichen Begünstigungen von Luftfahrtunternehmungen scheiterte ebenfalls an der mangelnden Antragslegitimation der Antragstellerin (VfGH 27.6.2023, G 106-107/2022-10).
Conclusio und Ausblick
Es bleibt also dabei: Ohne Rechtsverletzung und unmittelbare negative Betroffenheit kein Individualantrag; Antragsvoraussetzungen, welche der Verfassungsgerichtshof seit jeher streng sieht. Erfolgreiche „Klimaklagen“ sind in Österreich daher – zumindest auf absehbare Zeit – auf verfassungsgerichtlicher Ebene nicht zu erwarten. Ein kurzer internationaler Vergleich bestätigt, dass es für die Erfolgsaussichten von Klimaklagen primär auf die Ausgestaltung des jeweiligen nationalen Verfahrensrechts ankommt. So scheitern Klimaklagen vor allem in Staaten, in denen eine besondere individuelle oder unmittelbare Betroffenheit zur Bekämpfung von klimaschutzrelevanten Bestimmungen gefordert wird.
In Deutschland hingegen sorgte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im April 2021 für Aufsehen, als dieser dem Klagebegehren mehrerer Personen zwischen 15-32 Jahren stattgab und das deutsche Klimaschutzgesetz als mit den Grundrechten unvereinbar teilweise aufhob (BVerfG 24.3.2021, 1 BvR 2656/18). Inhaltlich argumentierten die Beschwerdeführer, die im Gesetz vorgesehene Ziel der Treibhausgasemissionen um 55% bis 2030 würden sie in ihren Grundrechten verletzen. Spannend und für viele Beobachter überraschend war jedoch weniger die inhaltliche (zustimmende) Beurteilung des Gerichts, sondern vielmehr, dass die auch im deutschen Verfassungsverfahrensrecht vorgesehene „gegenwärtige, unmittelbare Betroffenheit“ ohne Weiteres bejaht wurde.
Deutlich höhere formellere Hürden scheinen in der Schweiz zu bestehen, wo die „Klimaseniorinnen“, ein Verein aus Menschen im Pensionsalter, die seit 2016 (vergeblich) versuchen, die Eidgenossenschaft auf dem Rechtsweg unter Argumentation der Verletzung diverser Grundrechte zu stärkeren Klimaschutzmaßnahmen zu bewegen. 2019 scheiterte die Initiative vor dem Bundesgericht in Lausanne, die Klage wurde aus formellen Gründen mangels Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen abgewiesen. Der Verein brachte in der Folge eine Individualbeschwerde gemäß Art 34 EMRK beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Zum ersten Mal befasst sich nun also der EGMR mit derartigen Klagen, der Ausgang des Verfahrens ist völlig offen, die mit Spannung erwartete Entscheidung dürfte frühestens im Winter, wohl jedoch eher im Frühjahr 2024 fallen.
12.10.2023, Autoren: Priv-Doz Dr. Bernhard Müller und Noah Hofer, DORDA Rechtsanwälte GmbH, www.dorda.at