Megatrend hybrides Arbeiten
So mancher sitzt neuerdings wieder im Büro, viele im Home Office – andere wiederum pendeln im Schichtbetrieb zwischen physischer Präsenz und remote work hin und her. In Zeiten wie diesen gehören Videokonferenzen und digitale Tools inzwischen zum Standard-Repertoire des modernen Büro-Alltags. Hybrides Arbeiten – also die Mischform aus Präsenzarbeit und remote work – hält mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen nach und nach Einzug in die Unternehmen – und zwar weltweit.
Jochen Borenich, Vorstand und COO bei Kapsch BusinessCom, und Barbara Stöttinger, Dekanin der WU Executive Academy, haben den neuen Megatrend in der Arbeitswelt analysiert und sich angesehen, was dieser nicht nur für Organisationen, sondern vor allem auch für Führungskräfte und ihre Mitarbeiter bedeutet.
Die Spitze des Eisbergs
„Was wir derzeit bedingt durch die Corona Pandemie sehen, ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Barbara Stöttinger. „Hybrides Arbeiten wird die gesamte Arbeitswelt erfassen und nachhaltig verändern: die Führungskultur, die Arbeitsweisen und Zusammenarbeit nicht nur in den Büros, sondern auch in der Produktion und im Gewerbe – kurzum, die gesamte Organisation.“
Hybrides Arbeiten wirkt sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen aus: „Auf der Ebene der „people“, also wenn es um Leadership und Zusammenarbeit geht; auf der Ebene der „places“, das betrifft die clevere Nutzung von Räumen und auf der Ebene der „technology“, also die Verwendung neuer Technologien und digitaler Tools“, so Jochen Borenich, der auch Global Executive MBA Alumnus der WU Executive Academy ist und vor kurzem gemeinsam mit dem Wirtschaftsforscher Michael Bartz und Thomas Schmutzer, Director bei der KMPG Advisory GmbH, das Buch „Hybrides Arbeiten & Digitalisierung“ veröffentlicht hat.
Was das konkret für die Zukunft der Arbeitswelt bedeutet, haben sich die beiden Digitalisierungs- und Leadership-Experten enauer angesehen:
• Hybrides Arbeiten wird zum „New Normal“
Mehrere Studien haben laut den Buchautoren gezeigt, dass zwischen 40 und 60 Prozent der österreichischen Arbeitgeber auch nach der Pandemie an mobilen Arbeitsweisen festhalten wollen. Vor der Pandemie waren es noch unter 20 Prozent gewesen.
Auch die Mitarbeiter sind inzwischen befähigt, remote und hybrid zu arbeiten. Unternehmen müssten sich nun gut für hybride Arbeitsformen rüsten. „Hybrides Arbeiten wird zum neuen Standard: wer keine technologisch hochwertige Ausstattung und eine entsprechende Arbeitskultur bietet, verliert als Arbeitgeber an Attraktivität und erlangt somit einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil“, warnt Jochen Borenich.
• Leadership braucht neue Fähigkeiten
„Die Mitarbeiter im Home Office mit dem Vertrauen à la ,sie machen das schon irgendwie‘ allein zu lassen, reicht nicht“, sagt Borenich im Hinblick auf eine neue Fähigkeit, die sich Führungskräfte möglichst schnell aneignen sollten: Remote Leadership. Auch für Barbara Stöttinger hat Leadership eine neue Rolle in der digitalisierten Arbeitswelt erhalten: „Die räumliche Distanz benötigt mehr Leadership, nicht weniger. Remote Leadership basiert auf Vertrauen, klarer und offener Kommunikation und gibt je nach Bedarf der Mitarbeiter individuell Struktur und vor allem auch Sicherheit.“
Was allerdings nicht mit Micromanagement und Kontrollmails oder gar -anrufen zu verwechseln sei, wie Jochen Borenich meint: „Es ist wichtig, die Stimmung unter den Mitarbeitern einzufangen und besser einmal zu viel, als zu wenig zu kommunizieren – denn die Burnout-Gefahr ist durch das Home Office deutlich gestiegen, wie neueste Studien zeigen.“
Bei Kapsch BusinessCom haben die Vorstände schon vor Corona mit Hilfe von Filmteams in Videos Neuigkeiten verkündet, während der Pandemie und den Lockdowns griffen sie zum iPhone: „Wir haben selbst unsere Videos gedreht, um unsere Mitarbeiter auf dem Laufenden zu halten und unsere Arbeit hinter den Kulissen zu zeigen. In Zeiten der physischen Distanz ist es umso wichtiger, menschlicher zu sein“, so Borenich.
• Büros werden zu Begegnungs- und Kreativzonen
„Unternehmen planen laut Studien, 20 bis 30 Prozent ihrer Büroflächen einzusparen“, sagt Borenich. Der Trend gehe in Richtung „Smart Spaces“. „Das bedeutet zunehmend eine Abkehr von den Großraumbüros hin zu kleinen Büroeinheiten, in denen fokussiertes Arbeiten möglich ist, und größeren Begegnungs- und Kreativzonen, die Innovation und digitale Zusammenarbeit fördern.“
Auch Barbara Stöttinger ortet hier viel Potenzial für Unternehmen: „Die kreative Zusammenarbeit ist die Basis für Innovation. Hier ist es auch Aufgabe der Führungskräfte, entsprechende Freiräume zu schaffen – im Denken wie auch zeitlich und räumlich.“
• Neue Beziehungsformen: Mensch-Maschine und Maschine-Maschine
Nicht nur die Menschen kommunizieren untereinander zunehmend über digitale und virtuelle Kanäle. Auch die Interaktionen zwischen Mensch und Maschine und Maschinen untereinander wird zum „New Normal“. Dass im B2C-Vertrieb die Kunden online shoppen, sei längst Usus, erklärt Jochen Borenich. „Aber auch im B2B-Bereich kommen mittlerweile 80 Prozent aller Interaktionen ohne menschlichen Kontakt aus.“
Digitale Touchpoints gibt es somit auch im B2B-Bereich auf allen Kanälen. „Je jünger die Kunden auch im B2B-Bereich sind, desto weniger wollen sie echte Verkäufer sehen. Sie machen sich lieber selbst ein Bild über Recherche und Bewertungsplattformen“, kommentiert Borenich.
Bis 2024 sollen vier Milliarden Geräte miteinander digital vernetzt werden. Auch in der smart factory der Zukunft sind die Maschinen miteinander vernetzt und kommunizieren ohne menschliche Hand miteinander. „Die Maschinen werden auch zunehmend in der Lage sein, sich selbst zu optimieren. Experten füttern sie lediglich mit dem richtigen Wissen und den entsprechenden Daten.“ Digitale Tools wie etwa Smart Glasses werden Daten in Echtzeit per Augmented Reality an die Arbeiter weitergeben. „Industriekonzerne verwandeln sich somit immer stärker in Richtung Wissenskonzerne“, so Borenich.
• Sicherheit und Effizienz in der IT
Unternehmen aller Branchen sind inzwischen auf beunruhigende Art und Weise von der IT und ihrer Sicherheit abhängig. „Sie benötigen eine sichere, robuste IT-Infrastruktur, um Kollaboration zu ermöglichen.“
Gerade durch die Corona-Pandemie hätten Cyber-Attacken massiv zugenommen: „Im Cyber Defense Center von Kapsch verzeichnen wir eine Verdopplung der Anzahl von Cyberattacken im Vergleich zum Vorjahresbeginn vor der Pandemie“, räumt Borenich ein. Auch die Zahl der Anfragen von Unternehmen, die nach einer Cyberattacke Hilfe von der Kapsch BusinessCom bräuchten, habe sich vervierfacht. Borenich rät daher auch dazu, die digitalen Tools im Unternehmen möglichst integriert einzusetzen und Wildwuchs zu vermeiden.
Buchtipp
22.5.2021 / Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at