Mehr Flexibilität im Sozialversicherungsrecht für grenzüberschreitende Telearbeit
Insbesondere in Zeiten der Pandemie hat sich zunehmend ein Bedarf an einer flexiblen, ortsunabhängigen Arbeitsweise entwickelt. Doch auch in der Post-Pandemie-Zeit scheint der Remote Working Trend nicht an Momentum verloren zu haben. Telearbeit ist nach wie vor hoch im Kurs.
Arbeitnehmer liefen bei grenzüberschreitender Telearbeit bislang Gefahr, einem Wechsel der Sozialversicherungszuständigkeit („SV-Zuständigkeit“) zu unterliegen. Innerhalb des EU/EWR-Raums bzw der Schweiz reichte dafür bereits eine Überschreitung von 25 % des Gesamtarbeitszeitausmaßes im ausländischen Wohnortstaat aus. Die neue europäische multilaterale Rahmenvereinbarung soll künftig auf EU-Ebene Abhilfe leisten: Arbeitnehmer können nunmehr im ausländischen Wohnortstaat bis zu 50 % des Gesamtarbeitszeitausmaßes tätig sein, ohne dass es zu einem Wechsel der SV-Zuständigkeit kommt.
Hintergrund
Gemäß der Europäischen Sozialversicherungsrechtlichen Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 sind Arbeitnehmer stets nur in einem Mitgliedstaat sozialversichert und entrichten somit auch nur in diesem Sozialversicherungsbeiträge.
Entsprechend dem Territorialitätsprinzip unterliegt der Arbeitnehmer dem Sozialversicherungsrecht jenes Staates, in dem er seine Beschäftigung ausübt. Dies ist in der Regel der Sitzstaat des Arbeitgebers. Ist der Arbeitnehmer grenzüberschreitend tätig und übt er seine Tätigkeit zu einem wesentlichen Teil im ausländischen Wohnortstaat aus, so unterliegt der Arbeitnehmer der Sozialversicherung des Wohnortstaates. Ein wesentlicher Teil liegt vor, sobald die Gesamtarbeitszeit des Arbeitnehmers im Wohnortstaat mindestens 25 % beträgt. Nur in Ausnahmefällen bleibt die SV-Zuständigkeit des Sitzstaates bestehen.
Seit der Pandemie befindet sich die Arbeitswelt im Umbruch und viele Unternehmen bieten Telearbeits-Möglichkeiten an. Um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen und keine ungewünschten Änderungen der SV-Zuständigkeit auszulösen, haben Staaten bilaterale Rahmenvereinbarungen im Bereich des Sozialversicherungsrechts geschlossen, so etwa Österreich mit seinen Nachbarländern Deutschland, Tschechien und Slowakei. Für Fälle grenzüberschreitender Telearbeit dürfen Arbeitnehmer demnach ein Maximum von 40 % des Gesamtarbeitszeitausmaßes im ausländischen Wohnortstaat verbringen, ohne dass dies zu einer Änderung der SV-Zuständigkeit führt.
Die multilaterale Rahmenvereinbarung soll nun auch auf europäischer Ebene ein einheitliches Regelwerk etablieren. Die Rahmenvereinbarung ist am 1.7.2023 in Kraft getreten und wurde vorerst befristet auf fünf Jahre abgeschlossen.
Anwendungsbereich
Die multilaterale Rahmenvereinbarung findet ausschließlich auf Arbeitnehmer Anwendung, die regelmäßig wiederkehrende Telearbeit im ausländischen Wohnortstaat auf unselbständiger Basis ausüben, solange das Ausmaß der Tätigkeit im Wohnortstaat weniger als 50 % beträgt.
Unter grenzüberschreitender Telearbeit im Sinne der Rahmenvereinbarung versteht man jene Tätigkeit, die ortsunabhängig, in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt wird und es dem Arbeitnehmer ermöglicht, mit dem Arbeitgeber unter Einsatz von IT-Einrichtungen in Verbindung zu bleiben. Nicht anwendbar ist die Rahmenvereinbarung, wenn Arbeitnehmer in einem weiteren – sprich dritten – (Mitglied-)Staat arbeiten oder einer selbständigen Tätigkeit nachgehen.
Arbeitgeber können die multilaterale Rahmenvereinbarung nur in Anspruch nehmen, wenn sowohl der Beschäftigerstaat als auch der Wohnortstaat diese unterzeichnet haben. Bislang haben Österreich, Deutschland, Tschechien, Liechtenstein, Niederlande, Slowakei, Belgien, Luxemburg, Schweden, Spanien, Portugal, Polen, Norwegen, Malta, Finnland, Frankreich, Schweiz und Kroatien die multilaterale Rahmenvereinbarung unterzeichnet. Auch andere Länder haben bereits ihre Absicht bekundet, in naher Zukunft die Rahmenvereinbarung zu unterzeichnen.
Die Rahmenvereinbarung gilt nicht automatisch. Vielmehr muss der Arbeitgeber die Anwendung der Rahmenvereinbarung im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer individuell beim zuständigen Sozialversicherungsträger jenes Staates, dessen Sozialversicherungsrecht auch weiterhin anwendbar sein soll, beantragen. In Österreich ist der Adressat hierfür der Dachverband der Sozialversicherungen (hier geht es zur Antragsstellung). Der Antrag kann für maximal drei Jahre gestellt werden, wobei Verlängerungen möglich sind.
Vorsicht: Anträge, die auf Basis der bilateralen Abkommen gestellt wurden, bleiben bis zu deren Ablauf auch über den 1.7.2023 hinaus aufrecht. In diesen Fällen führt eine Tätigkeit von über 40 % des Gesamtarbeitszeitausmaßes im ausländischen Wohnsitzstaat zu einem Wechsel der SV-Zuständigkeit.
24.7.2023: Autoren: Mag. Florian Thermaler und Mag. Julia Huber, DORDA Rechtsanwälte GmbH, www.dorda.at