Umsetzung der EU-Richtlinie über „Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher“
Die EU-Mitgliedstaaten waren zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über „Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher“ („Verbandsklagenrichtlinie“) zur Einführung zivilrechtlicher Sammelklagen bis Ende 2022 verpflichtet. Österreich hat – wie einige andere Mitgliedstaaten – diese Verpflichtung bisher noch nicht erfüllt.
Ziel der Verbandsklagenrichtlinie
Die Verbandsklagenrichtlinie ist am 24.12.2020 in Kraft getreten und hätte bis zum 25.12.2022 in nationales Recht umgesetzt werden müssen; ab dem 25.06.2023 müssen die neuen Vorschriften angewendet werden. Aktuell gibt es in Österreich aber noch nicht einmal einen Begutachtungsentwurf.
Ziel der Verbandsklagenrichtlinie ist eine grundlegende Reform des kollektiven Rechtsschutzes auf europäischer Ebene: Es wird anerkannten Verbrauschutzorganisationen ermöglicht, bei Verstößen von Unternehmen, die eine große Zahl von Verbrauchern schädigen, die Ansprüche von (allen) betroffenen Verbrauchern stellvertretend für diese in einer Klage geltend zu machen. Erfasst werden Verstöße gegen verbraucherschützende Vorschriften aus zahlreichen Rechtsgebieten, zu denen neben dem Verbraucherschutzrecht auch Bereiche wie Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Reiseverkehr und Tourismus sowie Energie und Telekommunikation gehören. Bei Erfolg der Verbandsklage auf Abhilfe sollen die Verbraucher ihre Leistungen (zB Schadenersatz) direkt vom Unternehmen erhalten, ohne einen weiteren Prozess führen zu müssen. Daneben können Verbrauschutzorganisationen auch Unterlassungsklagen erheben.
Umsetzung der Richtlinie führt zu umfassender Systemänderung
Die Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie wird zu einer umfassenden Änderung im System der kollektiven Rechtsdurchsetzung führen. Bisher gibt es nur die Möglichkeit einer nationalen Verbandsklage nach dem Konsumentenschutzgesetz. Die vom KSchG legitimierten Verbände (z.B. Arbeiterkammer, VKI) können gesetzwidrige Bestimmungen in Musterverträgen und Geschäftsbedingungen bekämpfen und die Unterlassung gesetzwidriger Geschäftspraktiken geltend machen. Daneben hat sich in der Rechtsprechung die sogenannte „Sammelklage österreichischer Prägung“ entwickelt; bei einer solchen treten Verbraucher ihre Ansprüche an Verbände ab, welche die abgetretenen Ansprüche gebündelt im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung für die einzelnen Verbraucher geltend machen. Die Verbandsklagenrichtlinie sieht hingegen vor, dass qualifizierte Einrichtungen Verbandsklagen gegen Unternehmen erheben können, die gegen nationales oder europäisches Recht verstoßen, mit dem primären Ziel, Unterlassung oder Abhilfe in Form von Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises zu erwirken.
Beteiligung an einer Verbandsklage: „Opt-in“ oder „Opt-out“
Die Verbandsklagenrichtlinie überlässt den Mitgliedstaaten, wie die Beteiligung der Verbraucher an der Verbandsklage gestaltet wird. Die Mitgliedstaaten können entweder einen „Opt-in“- oder einen „Opt-out“-Mechanismus (oder auch eine Kombination beider Möglichkeiten) vorzusehen. Beim Opt-in-Mechanismus müssen die Verbraucher erklären, am Verfahren teilzunehmen, während die Verbraucher beim Opt-out-Mechanismus erklären müssen, nicht am Verbandsklageverfahren teilzunehmen.
Definition „Qualifizierter Einrichtungen“
Die Verbandsklagenrichtlinie berechtigt ausschließlich „qualifizierte Einrichtungen“ zu Verbandsklagen. Eine qualifizierte Einrichtung ist nach der Richtlinie „jede Organisation oder öffentliche Stelle, welche die Verbraucherinteressen vertritt und die von einem Mitgliedstaat als für die Erhebung von Verbandsklagen gemäß dieser Richtlinie qualifiziert benannt wurde“. Die Mitgliedstaaten haben einen Handlungsspielraum bei der Definition von qualifizierten Einrichtungen; aktuell ist daher offen, welche Einrichtungen in Österreich künftig Verbandsklagen nach der Richtlinie werden einbringen können.
Verfahrensrechtliche Besonderheiten: Offenlegung von Beweismitteln
Die Verbandsklagenrichtlinie enthält auch Besonderheiten für das Beweisverfahren, die an das anglo-amerikanische „Discovery-Verfahren“ erinnern und einen Paradigmenwechsel für das österreichische Zivilprozessrecht beinhalten: Unternehmen können vom Gericht zur Offenlegung von Beweismitteln verpflichtet werden, die sich in ihrem Besitz oder im Besitz eines Dritten befinden.
Fazit
Die Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie wird das System des kollektiven Rechtsschutzes in Österreich revolutionierten. Unternehmen werden mit einer neuen Art der kollektiven Rechtsdurchsetzung und der Verpflichtung zur Offenlegung von Beweismitteln konfrontiert sein. Die Konsequenzen sind noch nicht absehbar; diese werden von der nationalen Umsetzung und vor allem davon abhängen, welchen Einrichtungen der österreichische Gesetzgeber die Klagsbefugnis einräumen wird.
17.1.2023, Autoren: Stefan Adametz und Gregor Schett, Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH, www.fwp.at