Österreich weist wie die skandinavischen Länder, Belgien, Frankreich und Italien aufgrund seiner hohen Staatsquoten ein großes Umverteilungspotential des Staates aus. Die Abgabenquote lag zwar 2010 mit 40,8% des BIP um 4,2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der EU 15, die Umverteilung erfolgt aber vor allem über die Ausgabenseite. Das zeigen aktuelle Analysen, die das WIFO soeben publiziert hat.

Der Staat übt seine Umverteilungsfunktion in Österreich vor allem über die Ausgabenseite aus. Durch die regressive Struktur der indirekten Steuern und Sozialabgaben und das relativ nied-rige Gewicht der Steuern auf Einkommen und Vermögenserträge verteilt das Abgabensystem nur in geringem Ausmaß um. Deutlich umverteilend wirken dagegen die wohlfahrts- und sozi-alstaatlichen Leistungen der öffentlichen Hand: Neben den Pensionen entfallen die sozialen Geld- und Sachleistungen überwiegend auf die Bereiche Gesundheit, Bildung und Familie und kommen damit allen Haushalten unabhängig von ihrem Einkommen gleichermaßen zu-gute. Ihre relative Bedeutung für Haushalte mit niedrigem Einkommen ist somit deutlich höher als für einkommensstärkere Haushalte. Leistungen im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit so-wie die Sozialhilfe, die Wohnbeihilfe, das Pflegegeld und einzelne Familienleistungen wie etwa das Kinderbetreuungsgeld und die öffentliche Kinderbetreuungsinfrastruktur werden aufgrund der stärkeren Betroffenheit von Haushalten mit niedrigem Einkommen von diesen überproportional in Anspruch genommen und stellen für sie einen substanziellen Einkommensbestandteil dar.

Die Verteilung der Primäreinkommen (Markteinkommen und Pensionen) wurde insbesondere in der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre deutlich ungleicher, vor allem weil sich die Markteinkommen der einkommensschwächsten Haushalte gegenüber 2005 stark verringerten, während jene der einkommensstärkeren kräftig stiegen. Zudem erhöhte sich der Anteil der Personen ohne Markt- oder Pensionseinkommen.

Die Zunahme der Ungleichheit in der Verteilung der Primäreinkommen konnte durch die staatlichen Umverteilungsaktivitäten jedoch nicht gänzlich ausgeglichen werden. Daher waren auch die Sekundäreinkommen der privaten Haushalte (Primäreinkommen nach Abzug aller direkten und indirekten Abgaben, zuzüglich aller monetären und realen öffentlichen Transfers), die zwischen 2000 und 2005 noch relativ stabil geblieben waren, 2010 ungleicher verteilt als Mitte der 2000er-Jahre.
Wie die Analysen des WIFO zeigen, steht das sozial- und wohlfahrtsstaatliche System in Österreich vor neuen Herausforderungen: Vor dem Hintergrund der zunehmend ungleichen Markteinkommensverteilung erreicht das Transfersystem – mit überwiegend universellen Sachleistungen und Geldleistungen, die von der Erwerbsbeteiligung abhängen und nach dem Versicherungsprinzip organisiert sind − Haushalte am unteren Ende der Einkommensverteilung nicht
mehr im gleichen Ausmaß wie Anfang der 2000er-Jahre. Öffentliche Leistungen (insbeson-dere monetäre Transfers und öffentliche Bildungs- und Betreuungsdienstleistungen), die spe-ziell ärmeren Haushalten zugute kommen, gewinnen demnach an Bedeutung.

Ein weiteres Ergebnis der Analyse ist, dass unter Berücksichtigung der neuen Datenquellen und unter Einbeziehung der Vermögenseinkommen die Markteinkommen noch wesentlich ungleicher verteilt sind, als sich dies gemäß den bisher verwendeten Daten und Methoden (Befragungsdaten, Nicht-Selbständigenhaushalte) bisher dargestellt hatte. Dies stellt in Hin-blick auf die Einkommensverteilung die Struktur des Abgabensystems mit seiner starken Kopplung von Sozialabgaben an den Faktor Arbeit in Frage.

Die effektive Belastung der einzelnen Steuerbasen ist für die privaten Haushalte je nach Ein-kommensart sehr unterschiedlich: Während der effektive Abgabensatz auf Unselbständigen-einkommen 2010 im Durchschnitt aller Haushalte gut 43% betrug (effektive durchschnittliche Lohnsteuerleistung 11%, effektiver Sozialabgabensatz 32%), lag der durchschnittliche effektive Steuersatz auf Einkünfte aus Zinsen und Dividenden bei 25% und jener auf die Erträge aus Vermietung und Verpachtung bei 21%.

Letztlich ist die Zunahme der Ungleichheit in der Verteilung der verfügbaren Einkommen in erster Linie das Ergebnis einer schwachen Arbeitsmarktentwicklung, der teilweise geringen Entlohnung in den Bereichen mit steigenden Beschäftigungszahlen sowie des ungenügenden Angebotes an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Allerdings nehmen auch die konkrete Ausgestaltung der Bildungspolitik sowie die Struktur der Steuern und Sozialabgaben über vielfältige Kanäle wesentlich Einfluss auf die gegenwärtige und künftige Verteilung der Markteinkommen.

Quelle: WIFO / Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
http://www.wifo.ac.at