Wie der Fortschritt finanziert wird
Neues Geld für zukunftsträchtige Investitionen zu bekommen, ist eines der geringeren Probleme der österreichischen Top-Unternehmen. „Es gibt für alle sinnvollen Projekte ausreichende Finanzierungen“, bringt es Lenzing-Finanzvorstand Thomas Obendrauf auf den Punkt.
Es ist wohl kein Zufall, dass sich die drei absoluten Top-Aktien mit Lenzing, RHI und Strabag des Jahres 2016 am Wiener Markt aus der Riege der produzierenden Unternehmen rekrutierten. Man kann also mit Fug und Recht auch in diesem Bereich von einem deutlichen Comeback der Industrie sprechen – und das hängt nicht zuletzt mit der durchwegs ausgezeichneten Finanzierungssituation der österreichischen Industrieleitbetriebe zusammen.
„Unsere Verschuldung ist aktuell sehr niedrig und wir erwarten zudem weiterhin gute operative Cash-Flows“, sagt Lenzing-Finanzvorstand Thomas Obendrauf. „Daher schöpfen wir nicht einmal die klassischen Finanzierungsformen aus.“ Bei Lenzing führte der stärkere Fokus auf Spezialfasern (Modal, Tencel), neue Applikationen und Preisanpassungen im ersten Halbjahr zu einem Umsatzplus von beachtlichen 17 % bei Fasern. Dazu kommen positive Effekte des vor mehreren Jahren eingeleiteten Restrukturierungsprogrammes, Währungsgewinne durch die US-Dollar-Stärke und niedrige Rohstoffpreise. Das Unternehmen kündigte zudem an, die Kapazitäten im Spezialfaserbereich bis Anfang 2018 um rund 35.000 Tonnen zu erhöhen und fasst weitere größere Investitionen ins Auge – auch im Bereich Industrie 4.0. „Hier setzen wir derzeit einige Projekte um, die aufgrund unserer soliden Bilanz gut ausfinanziert sind“, bestätigt Obendrauf.
Keinerlei Geldprobleme kann auch CFO Peter Haidenek für den börsennotierten Autozulieferer Polytec erkennen: „Aus unserer Sicht sind die für uns relevanten Kapitalmärkte äußerst liquide und bilden für uns die Grundlage angestrebte Finanzierungen ohne jedwede Einschränkung zu attraktiven Konditionen durchzuführen.“ Ähnlich entspannt sieht Georg Kapsch – im „Nebenberuf“ bekanntlich Präsident der Österreichischen Industriellenvereinigung – die Situation für „sein“ Unternehmen: „Aufgrund der gegenwärtig schwachen Konjunktur und der ungünstigen Standortbedingungen herrscht derzeit keine Kreditklemme.“ Liquidität sei derzeit ausreichend vorhanden – allerdings in erster Linie für die „Großen“, denn, so Kapsch: „KMU werden – mangels anderer Instrumente als Kreditfinanzierungen – wegen Basel 3 und 4 Probleme bekommen. Daher bedarf es eines Überdenkens von Basel 3 und eines Vermeidens von Basel 4 sowie einer umfassenden Kapitalmarktinitiative!“
Eine solche Initiative könnte auf einer top-aktuellen Studie basieren, die am 29. August vom renommierten Wirtschaftsforscher Christian Keuschnigg vorgestellt wurde. Er will mit einem „Zehn-Punkte-Programm für den Finanzplatz Österreich im Jahr 2030“ (siehe Kasten) den weiteren Weg Österreichs zu einem führenden Innovationsland unterstützen. „Die Notwendigkeit eines wettbewerbsfähigen Finanzplatzes für Wachstum, Beschäftigung und Stabilität ist gerade heute besonders hoch. Mit einem ehrgeizigen Reformprogramm können Wachstum und Stabilität der heimischen Wirtschaft weiter gestärkt werden.“ Die Ergebnisse der Studie zeigen einmal mehr, dass die steuerliche Diskriminierung von Eigenkapital beseitigt werden muss, wenn Österreich als Innovationsvorreiter in einer internationalen Liga mitspielen möchte. „Die steuerliche Gleichstellung von Fremd- und Eigenkapital ist ein wichtiger Schritt, auch Klein- und Mittelbetrieben in Österreich den Weg an die Börse zu ebnen. Die damit ausgelösten Investitionen – ohne neue Verschuldung – sind der Wirtschaftsimpuls, den wir jetzt brauchen“, unterstreicht Ludwig Nießen, Vorstandsmitglied der Wiener Börse. Um in Österreich den Wachstumsmotor anzukurbeln, gelte es, den Kapitalmarkt auszubauen, bestätigt auch Andreas Zakostelsky, Mitglied des Finanzausschusses des Österreichischen Nationalrates. „Wenn Österreich hier aufschließen möchte, führt kein Weg an weiteren Reformen im Finanzbereich vorbei.“
Das Problem der niedrigen Zinsen
Was die konstante Niedrigzinspolitik der Notenbanken betrifft, sind die Meinungen der Firmenchefs und Finanzvorstände geteilt. „Vorteile natürlich“ sieht Semperit-CFO Johannes Schmidt-Schultes. „Wir haben 2015 durch die Aufnahme von günstigem Fremdkapital und die Ausschüttung einer Dividende und Sonderdividende die Kapitalstruktur optimiert – somit konnten wir die Gesamtkapitalkosten des Konzerns deutlich senken.“
Dem ebenfalls börsennotierten Feuerwehrausstatter Rosenbauer bringt die Niedrigzinspolitik ebenfalls Vorteile. „Unsere Finanzierung ist schon seit einigen Jahren deutlich günstiger als früher“, bestätigt Finanzvorstand Günter Kitzmüller dem trend am Telefon. Für Rosenbauer hat die aktuelle Situation noch einen zusätzlichen Vorteil: „70 bis 80 % unserer Produktion geht an den öffentlichen Bereich und der kann sich ebenfalls entsprechend günstiger finanzieren.“
Auch Schoeller-Bleckmann profitiert in Summe von der günstigen Finanzierung auf dem Finanzmarkt, bestätigt deren Chef Gerald Grohmann – „auch wenn wir aus unserer starken Cash-Position derzeit nur einen verhältnismäßig geringen Zinsertrag generieren können“. Aber: „Grundsätzlich ist eine Einflussnahme der Notenbanken immer kritisch zu sehen, weil sie die natürlichen Kräfte der Marktregulierung aushebelt.“ Für Lenzing-CFO Obendrauf hat die Niedrigzinspolitik „für uns direkt weder Vor- noch Nachteile“: „Über längere Zeit könnte sie allerdings nachteilig sein, weil dadurch weltweit Unternehmen am Markt Kredite bekommen, die sonst nicht mehr kreditwürdig wären. Diese bieten dann zu Grenzkosten an, weil sie mit jedem erwirtschafteten Euro immer noch über die Runden kommen und tragen damit wesentlich zum deflationären Umfeld bei – in Japan ist das seit vielen Jahren zu beobachten.“ Trotz der positiven Effekte für „seine“ Firma hat auch Rosenbauer-CFO Kitzmüller einen gewichtigen Einwand: „Auf die gesamte internationale Wirtschaft bezogen ist die Niedrigzinspolitik nicht gesund, weil sie so negative Auswirkungen auf die Banken hat. Die sollen sich einmal erholen und mit ihren Geschäftsmodellen auch wieder ins Verdienen kommen können.“ Was sich Kitzmüller wünschen würde? „Es müssen ja nicht gleich 4 % sein, aber eben auch nicht 0 % – 1 bis 2 % wären aus meiner Sicht „gesund“.“
Konservativ oder alternativ?
Bei der Frage nach den Finanzierungsformen forciert Schoeller-Bleckmann die „Klassik“ – „um ganz bewusst sehr konservativ, planbar und vorausschauend finanziert zu sein“, erklärt CEO Gerald Grohmann. „Genau das hilft unserem Unternehmen, sich in der zyklischen Öl- und Gasindustrie über die Zyklen hinweg zu finanzieren.“ Die Polytec Holding AG ist seit April 2006 börsenotiert und nutzt seitdem den Equity capital market zur Finanzierung mit Eigenkapital. Peter Haidenek: „Im September 2014 haben wir ein erstes Schuldscheindarlehen in Höhe von 100 Mio. begeben.“
Für AT&S – bekanntlich in China sehr aktiv – ist Eigenkapital in Form von Kapitalerhöhungen in diesem Zinsumfeld weniger interessant. „Fremdkapitalformen wie Schuldscheindarlehen sind hingegen aufgrund der Konditionen sehr attraktiv und es gibt entsprechend kompetitive Angebote – und das international“, meint CEO Andreas Gerstenmayer. Um weiterhin als einer der Technologieführer am Markt zu bestehen, muss AT&S kontinuierlich in Anlagen investieren (Upgrade oder Neuinvestition). Dabei werden auch Industrie 4.0 Lösungen schrittweise – u.a. als Teil von generellen Investitionen – in bestehende und neue Anlagen implementiert.
Auch für AGRANA ist das Thema Digitalisierung in der Produktion von wachsender Bedeutung – z. B. am Standort in Pischelsdorf (NÖ), wo in der Weizenstärke- und Ethanolfabrik pro Tag 2.000 Tonnen Getreide verarbeitet werden. „Um die Effizienz zu steigern bzw. dauerhaft auf einem möglichst hohen Niveau zu halten, setzt AGRANA auf verstärkte Vernetzung der Anlagen“, erläutert CEO Johann Marihart. „Die Finanzierung solcher Investitionen im Rahmen unserer jährlichen Investitionsausgaben von 100 Mio. € erfolgt aus dem free Cash Flow.“ Auch für die Zucker-, Stärke- und Frucht-Experten sind die niedrigen Zinsen übrigens vorteilhaft, weil ja ein großer Teil des Geschäfts eine Erntefinanzierung erfordert. Was die Finanzierungsformen betrifft, ist für Marihart der „richtige Mix“ von größer Bedeutung. „Wer eine solide Bonität mit entsprechender Eigenkapitalausstattung aufweist, kann auf verschiedenste Kapitalmarktinstrumente zurückgreifen. AGRANA nutzt sowohl Schuldscheindarlehen als auch syndizierte Kredite.“
„Für Palfinger ist die Niedrigzinsphase von Vorteil, weil wir dadurch billiger andere Unternehmen kaufen können, die wir aus strategischen Gründen erwerben wollen. Die niedrigen Zinsen sind aber nicht entscheidend, wir würden auch bei höheren Zinsen unsere Wachstumsstrategie umsetzen. Österreichische Industriebetriebe müssen ohnehin grenzüberschreitend aktiv sein, wenn sie langfristig erfolgreich sind. Daher ist es auch erforderlich, die Finanzierung grenzüberschreitend – das heißt, auch mit ausländischen Banken – zu konzipieren und umzusetzen. Aber generell gibt es für heimische Industriebetriebe, die die übliche Transparenz anbieten, ausreichend Finanzmittel. Wir haben uns in den vergangenen Jahren auch über Schuldscheinemissionen finanziert und damit sehr gute Erfahrungen gemacht“, so Herbert Ortner (CEO Palfinger)
„Es gibt genug Geld für jeden Industriebetrieb, dessen Geschäftsmodell stimmt und der sich in einer stabilen finanziellen Verfassung hinsichtlich Bilanzstruktur, Cashflow und Ertragskraft befindet. Unser Finanzierungsaufwand ist im niedrigen Zinsumfeld so niedrig wie nie zuvor – isoliert betrachtet ist dies ein Vorteil. Wir finanzieren die Entwicklungskosten als Teil unsere Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen aus dem eigenen Cashflow. Bei den alternativen Finanzierungsformen greifen wir im Wesentlichen auf Factoring zurück“, Christian Hogenmüller (Head of Corporate Treasury, Zumtobel Group)
10 Reformen für einen leistungsfähigen Finanzplatz Österreich
+ Regulierung:
1. Mehr Eigenkapital und höhere Liquiditätsreserven im Bankensektor durch weitgehenden Nachvollzug der Basel Regulierung.
2. Selbstversicherung der Banken durch Umsetzung der Bankenunion mit einheitlicher Aufsicht, Abwicklungsmechanismus und harmonisierter Einlagensicherung.
3. Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit heimischer Banken durch Verzicht auf einen Österreich-Zuschlag zu den Kapitalanforderungen relativ zu anderen Ländern.
+ Besteuerung:
4. Beseitigung diskriminierender Lenkungssteuern wie der Stabilitätsabgabe, deren Lenkungszweck bereits durch Regulierung erfüllt ist.
5. Beseitigung des steuerlichen Verschuldungsanreizes auf Unternehmensebene durch Steuerabzug einer normalen Eigenkapitalrendite.
6. Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung riskanter Anlagen wie Aktien und Beteiligungen durch Einführung eines vollen Verlustausgleichs und Verlustvortrags.
+ Institutionelle Reformen:
7. Moderater Ausbau einer kapitalgedeckten Säule des Pensionssystems, um mehr Anlagekapital auf den Kapitalmarkt zu lenken.
8. Ein Review des Investorenschutzes und der Unternehmenskontrolle, um mit mehr Investitionssicherheit die Kapitalmarktentwicklung zu forcieren.
9. Belebung des Marktes für Wagniskapital durch Technologietransfer und Abbau von bürokratischen Gründungshemmnissen zusammen mit den Elementen 5-8.
10. Informationskampagne zur Sensibilisierung für Anlagemöglichkeiten mit anderen Wertpapieren jenseits des Sparbuchs für eine bessere Ertrags – und Risikomischung.
Quelle: „Finanzplatz Österreich“ (2016) von Christian Keuschnigg und Michael Kogler
3.10.2017, Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at