Wie geht’s weiter mit „60/40“?
Die beiden hochrangigen Amundi-Manager Pascal Blanqué (Group CIO) und Didier Borowski (Head of Global Views) erörtern die Auswirkungen der aktuellen Krise auf die Asset Allokation der Anleger und warum der traditionelle 60/40-Ansatz überdacht werden sollte.
Die seit Jahrzehnten schwerste Gesundheitskrise, die tiefste, aber auch kürzeste globale Rezession, und das ohne Finanzkrise – so sieht die Lage derzeit aus. Die Covid-19-Pandemie hat die Weltwirtschaft erheblich geschädigt, die Volkswirtschaften sind anfälliger geworden. Ungleichheiten haben zugenommen. Die Bilanzen von Haushalten, Unternehmen und Regierungen haben sich auf globaler Ebene verschlechtert. Regierungen haben mit ihrer expansiven Geld- und Fiskalpolitik Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt.
Die aktuelle Krise wird einem turbulenteren System Platz machen, das von Natur aus anfällig für politische Fehler sein dürfte und in dem die Erwartungen der Anleger selbst Erschütterungen unterworfen werden. Die Inflation könnte zukünftig höher und das reale Wachstum niedriger ausfallen. Diese Veränderungen hätten tiefgreifende Konsequenzen für die Asset Allokation der Anleger – sowohl, was die Risikoprämien als auch die gesamte Portfoliokonstruktion betrifft. Der traditionelle 60/40-Ansatz, also 60 Prozent Aktien, 40 Prozent festverzinsliche Papiere, dürfte in einer Welt mit niedrigeren erwarteten Renditen im Vergleich zum letzten Jahrzehnt risikobereinigt weniger attraktive Renditen liefern.
60/40 neu überdenken
60/40 ist ein Konzept der Vergangenheit, das sich wohl nicht mehr halten lassen wird. Erstens sind die erwarteten Renditen für das nächste Jahrzehnt heute niedriger als in der vorherigen Dekade. Bei einem ausgewogenen Portfolio scheint der erwartete Performancebeitrag der festverzinslichen Wertpapiere und der Aktienkomponente begrenzt. In den letzten zehn Jahren haben Aktien eine höhere Rendite erzielt, als durch die Erträge gerechtfertigt war. Daher kann man wohl geringere Renditen aus dem Aktienanteil eines Anlegerportfolios erwarten.
Auf der anderen Seite ist eine zunehmende Korrelationsdynamik zu erkennen, wobei die Bond-Equity-Korrelation bei steigender Inflation und höherer Volatilität als vor der Krise positiv wird. Das risikoadjustierte Profil eines traditionellen ausgewogenen Portfolios wird sich daher verschlechtern. Daher könnten Anleger ihr strukturelles Aktienengagement erhöhen und diversifizierte Portfolios aufbauen, die über die traditionelle Benchmark-Allokation hinausgehen, einschließlich Real Assets, alternativer und hochverzinslicher Investments, wie z.B. Schwellenländeranleihen. Infolgedessen wird die Portfoliokonstruktion komplexer. Anleger sollten drei Dimensionen berücksichtigen: Risiko, Rendite und Liquidität.
Anleiheinvestitionen über die Benchmark hinaus
Anleihen sind in einer Welt der positiven Korrelation bei höherer Inflation nicht mehr die besten Diversifizierer globaler Portfolios. Und es gibt das Benchmark-Durationsproblem. Festverzinsliche Indizes weisen derzeit extrem niedrige Renditen auf, während sich ihre Duration auf historischen Höchstständen befindet. Daher könnte ein kleiner Anstieg der Renditen zu großen Kapitalverlusten führen.
Eine Alternative für Anleger wäre es, sich von statischen, Benchmark-gebundenen Strategien zu lösen und nach Benchmark-ungebundenen Strategien Ausschau zu halten; wobei die ganze Bandbreite genutzt werden sollte. Kernanleihen sind nur für Liquiditätszwecke relevant. Anleger sollten der Versuchung widerstehen, zu früh auf Long-Duration zu setzen.
Aktien als strukturelles Muss
Vor dem Hintergrund einer höheren und volatileren Inflation ist ein Engagement in Aktien sinnvoll. Es kann Schutz vor Blasen und Marktexzessen bieten. Anleger sollten aber bei zinssensiblen Aktien vorsichtig sein, während dividendenstarke Titel und solche, die in Realwerten engagiert sind, bevorzugt werden könnten. Die Rotation von Growth zu Value ist ein mehrjähriger Trend.
Das aktuelle frühe Stadium mit höherer Inflation, höheren Rohstoffpreise und höheren Zinsen ist eine gute Ausgangsposition für Value-Aktien. Anleger könnten also den Aktienanteil erhöhen und dabei das Inflationsrisiko einkalkulieren. Auch Diversifizierung ist angebracht, mit Dividendentiteln, Aktien, deren Haltezeit kurz ist, und Qualitäts-/Value-Aktien.
Dauerbrenner ESG
Viele Regierungen haben nach der Covid-19-Krise einen starken Fokus auf den Kampf gegen Ungleichheit gelegt. So wird die „S“-Säule dank neuer Finanzinstrumente wie Sozialanleihen, interessant.
Bei der „E“-Säule ist der grüne Übergang bereits voll im Gange. Neue Instrumente wie z.B. Temperatur-Scores sind auf dem Markt, um die Ausrichtung von Investmentportfolios auf das Ziel von netto null globalen Emissionen bis 2050 zu messen. Berechnet man diese Scores über Anleihe- und Aktienindizes hinweg, haben nur sehr wenige Unternehmen einen Temperatur-Score von unter 2°C – insbesondere in den Schwellenländern. Der Klimawandel wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. Daher sind neue Anlageklassen entstanden und es werden weitere entstehen, wie z. B. grüne Anleihen, die zu einem Kernbestandteil eines jeden Anlegerportfolios werden können. Der Markt für grüne Anleihen wächst schnell, reift und wird immer diversifizierter.
In Zukunft wird es bei ESG-Investments eine stärkere Unterscheidung zwischen Themen, Sektoren und Aktien geben. Für Anleger, die Überschussrenditen erzielen wollen, wird es entscheidend sein, die Chancen zu erkennen, bei denen die ESG-Prämie noch nicht vollständig eingepreist ist.
Was versteht man … unter „60/40“?
Das 60/40-Portfolio war seit Jahrzehnten ein unter Anlegern populärer Allokationsansatz, da dieser eine gute Balance zwischen der Rendite und dem Risiko versprach.
Dabei wurden 60 Prozent des Investitionsvolumens in Aktien, die verbleibenden 40 Prozent in festverzinsliche Anleihen von guter Bonität der Emittenten (sogenannte Investment Grade (IG) Bonds) investiert. Die Performance dieses schlichten Allokationsmodells konnte in der Vergangenheit durchaus mit der von weitaus komplexeren Strategien mithalten.
Doch die jüngsten Marktturbulenzen, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, erhöhten die Volatilität an den Finanzmärkten. Der monetäre Stimulus der Notenbanken als Reaktion auf die Pandemie verfehlte zudem die angestrebte Inflationssteigerung. Somit ist die Perspektive auf steigende Renditen im Anleihebereich eher getrübt, während Aktien eine enorme Volatilität aufweisen. Deshalb kommt die Frage auf, ob das 60/40-Modell definitiv ausgedient hat bzw. wie Anleger zukünftig ihr Portfolio mit geringer Volatilität, aber attraktiver Rendite allokieren sollen.
23.7.2021 / Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at